Alle Artikel mit dem Schlagwort: Bekenntnisse

Wo ich herkomme

Ich komme ungefähr aus der Mitte von Sachsen-Anhalt. Ich bin dort aufgewachsen, zur Schule gegangen, habe die ersten Jahre in Magdeburg studiert. Meine Eltern wohnen dort und große Teile meiner Familie. Ich mag meine Familie sehr gern, ich bin immer viel dort gewesen. Seit meine Töchter auf der Welt sind noch häufiger, denn sie lieben ihre Großeltern, sie lieben die weite Landschaft der Elbauen, die auch mich immer durchatmen lässt und sie lieben die Leute dort. Sie kennen ihre Namen, die Namen ihrer Hunde, sie wissen, wo sie in Gärten laufen können und freudig begrüßt werden. Ich selbst bin in den letzten Wochen oft zusammengezuckt, wenn ich durch die Straßen fuhr, um sie abzuholen, denn Plakate, die ich in Berlin in meinem Bezirk gar nicht kannte, hingen dort sehr viele und sehr tief. Ich könnte noch ein paar andere Geschichten erzählen, aber genau das will ich heute nicht. Denn seit gestern, seit ich ein paar Tweets gelesen habe, zu Unverständnis, zu „denen“, zu Mauern, die wir wieder bauen sollten (von der anderen Seite und jaja, …

Gastbeitrag: Nicht jeder sieht man ihre Krankheit an

Ich habe Theresa schon einmal getroffen. Wir haben nicht besonders viel geredet, aber sie war jemand, deren Augen lächeln. Ihr kennt sicher diese Menschen, die einfach positiv sind. Als ihr Gastbeitrag bei mir eintrudelte, hat mich das ziemlich mitgenommen. Aber Theresa schrieb, dass sie findet, dass auch diese Themen eine Öffentlichkeit brauchen. Und da hat sie absolut recht. Hier kommt ihr Text:  Ich bin 29. Ich habe mehrere Kinderbücher auf Deutsch und Englisch (und eins sogar in chinesischer Übersetzung) veröffentlicht, bin an der Uni eingeschrieben, habe zwei Ausbildungs- und einen Weiterbildungsabschluss und viele Jahre Berufserfahrung als freiberufliche Englischdozentin und Nachhilfelehrerin. Alles ganz normal also, eine junge Frau mit Träumen und Zielen. Nur wer genauer hinschaut, erkennt die Anspannung. Die dunklen Ringe unter den Augen. Die blasse Gesichtsfarbe. Den kurzen Moment des Innehaltens und Durchatmens. Die verstohlene Einnahme einer Tablette mitten im Unterricht. Die ständigen kleinen Positionswechsel während der Vorlesung. Die Erleichterung, wenn ich in der Bahn oder im Bus einen Sitzplatz bekomme. Die Traurigkeit in meinen Augen, wenn ich Lehrmaterialien sehe. Oder kleine Kinder. Was von …

Sommer

Immer im Sommer schmiede ich Pläne und sprühe vor Ideen. Dabei ist der Sommer die schlechteste Zeit dafür. Denn der Sommer ist zum Eis essen und Schwimmen gehen und die Seele in der Sonne baumeln lassen gedacht. Also muss ich beinahe jeden Sommer wieder lernen, keine schlechte Laune zu bekommen. Ich bekomme schlechte Laune, weil ich eigentlich sofort alles machen möchte (aufmerksame Podcasthörerinnen wissen um meine Ungeduld). Aber wenn ich sofort alles machen würde, bleibt, das ist ganz klar, keine Zeit für Eis und baden und Seele baumeln lassen. Und dann, ich kenne das, sitzte ich schwupps wieder im Berliner Winter und kann mich gar nicht mehr darüber freuen, dass ich viele Dinge gemacht und versucht habe. Weil manche von ihnen eben nur Versuche blieben und schon wieder im Nebel der fast vergessenen Ideen verschwunden sind, die einmal so großartig klangen und dann doch überraschend schnell ihren Zauber verloren. In solchen Fällen sind Kinder eine ganz wunderbare Erfindung, denn sie fragen sich nicht, ob man große oder kleine Ideen gegen Eis und Ausflüge oder den …

Ich mag den Muttertag

Morgen werden mich kleine Arme umarmen und mir dicke, feuchte Küsse aufdrücken. Ich werde ein selbstgemachtes Bild von einem Blumenstrauß bekommen. Ganz kleine zusammengeknüllte Seidenpapierkugeln wurden aufgeklebt und bilden den Blumenstrauß. Es sind sehr viele kleine Kugeln. Ich weiß, wie lange das gedauert haben muss, bis aus den Kugeln der Strauß wurde. Und wie ab und zu die Konzentration meines Kindes verloren gegangen sein wird. Aber ich weiß von der Person, die ihr dabei geholfen hat, dass es sich nicht hat ablenken lassen. Weil sie dieses Geschenk für ihre Mama unbedingt fertig machen wollte. Mein Mann wird mir einen Kuss aufdrücken und „Danke“ sagen. Einen Kuss, der ein wenig länger dauert als sonst, wenn der Alltag oft nur Aneinandervorbeigehusche für uns bereithält. Wir werden uns anblicken und uns verschwörerisch anlächeln wegen des ganzen Wahnsinns, den wir hier jeden Tag wuppen. Meine 75jährige Nachbarin ist morgen nicht da, aber hat mir schon Pralinen vorbei gebracht. Ich mag Pralinen nicht besonders, aber ich habe mich trotzdem gefreut. Morgen ist Muttertag. Ich bin gern Mutter und ich mag den …

Altpapier-Poesie

Allerspätestens mit den ersten Sonnenstrahlen war klar, dass der Kartonfriedhof auf dem Balkon verschwinden musste. Wir haben einen ziemlich ansehnlichen Balkon ordentlicher Größe, aber das Papier hatte ihn fast verschwinden lassen. Alles begann mit den vor Weihnachten eintreffenden Paketen diverser Versandhändler. Es war draußen so kalt und so ungemütlich und irgendwie schlief das Baby immer oder hatte schlechte Laune oder ich hatte gar keine Lust, es in 25 Schichten Jacken zu hüllen, um das bisschen Papier loszuwerden. Das bisschen Papier  wurde allerdings recht schnell größer und bald war es so groß, dass es sowieso nicht mehr mit nur einem schnellen Gang zur Papiertonne hätte weggebracht werden können. Der anwachsende Haufen, inzwischen um diverses Weihnachtsgeschenkapier und noch mehr Karton ergänzt, wuchs und wuchs und störte mich durchaus. Aber draußen war es ja, wie es sich für einen ordentlichen Berliner Winter gehört, meistens sowieso grau, so dass ich die Vorhänge, die sonst nur für die Abendstunden vorgesehen waren, einfach virtuos so vor die  Tür zum Balkon zog, dass ich den Kartonhaufen bei meinen natürlichen Laufwegen durch die Wohnung kaum noch …