Ann-Marie Slaughter hätte auch ein ganz anderes Buch schreiben können. Sie ist ihn gegangen, den Weg der richtig erfolgreichen Frauen. In ihren 20ern & 30ern hat sie ungezählte Stunden gearbeitet, die Karriere vorangetrieben. Zur Feier der Verleihung ihrer ersten Professorenwürde wollten ihre Eltern unbedingt den Lehnsessel im Büro ihres Professors sehen – auf dem sie mehr Nächte verbracht hatte als im eigenen Bett.
Es folgten die lebenslange Professur, eine Ehe & zwei Söhne. Dann ereilte sie der Ruf nach Washington, Außenministerin Clinton wollte sie in ihrem Stab. Perfektes Timing, die beiden Söhne (10 & 12 Jahre) waren aus dem Gröbsten raus, sie konnten auf sich selbst aufpassen. Außerdem gab es schon immer auch den Vater, der von jeher flexibler mit seinen Arbeitsstunden war.
Angekommen auf dem Gipfel, wieder in einer Position, die vorher noch nie von einer Frau besetzt war…bat Slaughter Hillary Clinton nach 18 Monaten darum, wieder gehen zu können. Sie wollte zurück. Und sie nannte nach einiger Überlegung den Grund: ihre Kinder, insbesondere der älteste Sohn. Sie hatte das Gefühl zu fehlen, dass ihr etwas fehlte. Es war eine schmerzliche Entscheidung, die Ann-Marie Slaughter in einem Essay im Atlantic beschrieb, der 2012 eine Welle der Sympathie aber auch des Unverständnisses bis hin zur Empörung hervorrief. Er titelte Why Women Still Can’t Have It All & ist bis heute eines der meist geklickten Stücke auf der Website.
„I had suddenly become categorized and subtly devalued as just another of the many talented and well-educated women who showed great promise at the start of their careers (…) but then made a choice to take a less demanding job, work part-time, or stop working entirely to have more time for caregiving.“
Die öffentliche Diskussion brandete auf, auch wenn Ann-Marie Slaughter faktisch in ihre alte Position an der Universität zurückkehrte. Sie arbeitete Vollzeit, aber war bewusst einen Schritt zurück gegangen. Hatte sie jetzt nicht alles verraten wofür die FrauenTM gekämpft hatten & nicht zuletzt sich selbst betrogen? War das nicht der Karriereweg, den genau Slaughters Generation jungen Frauen immer predigte? Sich reinhängen, den Lean In – Moment nicht verpassen, ranklotzen & dann die Freiheiten einer höheren Position genießen, wenn es Zeit für Kinder ist. Um dann wieder Gas zu geben, wenn diese wieder weniger Aufmerksamkeit brauchen. Schließlich ging es hier nicht um die Kleinkindbetreuung. Was brauchten pubertierende Jungen ihre Mutter?
Jetzt, drei Jahre später, ist Slaughters Buch erschienen. Unfinished Business heißt es, auf dem Cover prangt ein Post-it mit der Aufgabenliste (Frauen, Männer, Arbeit, Familie). Slaughter schreibt über ihren Werdegang, persönlich & mit klarem Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Hinterfragt & nimmt auseinander. Sie zitiert Studien, demontiert Mythen über Frauen in der Arbeitswelt & in der Mutterrolle & sagt auch wieder: ich spürte eine Verpflichtung als Mutter, da zu sein, die ich wahrnehmen wollte.
Es ist ein sehr amerikanisches Buch, das aus einem Land berichtet, indem es keinen Mutterschutz oder Elternzeit gibt & für weite Teile der Bevölkerung keine bezahlbare Kinderbetreuung. Ein Land, indem man einen guten Job gelandet hat, wenn dieser einen Tag bezahlten Urlaub pro Monat bietet. Es ist aber auch ein sehr amerikanisches Buch, weil es von funktionierenden Frauennetzwerken spricht, von einer größeren Selbstverständlichkeit des Aufstiegs.
„I began to wonder why success as a woman, or indeed as a man, meant privileging career achievement above all else.“
Und Slaughter schafft es, den Blick dafür zu öffnen, dass das Problem ungeachtet des Landes, ungeachtet der Rahmenbedingungen, besteht. Dass es um ein Umdenken in den Köpfen geht. Hiefür müssen Wahrheiten ausgesprochen werden. Den richtigen Partner zu finden, wie es auch Sheryl Sandberg sagt, ja, das ist eine der wichtigsten Karriereentscheidungen, um gleichberechtigt teilen zu können.
„Women who plan to accept every promotion and move wherever the company wants them to go will need a spouse who supports them by taking on the full load, or at least the primary load, at home – exactly as male CEOs have always needed.“
Für den Aufstieg bis ganz nach oben reicht das aber nicht. Slaughter erzählt von Vorstandsfrauen, die alle den role reversal, den Rollentausch, leben. Ab einem bestimmten Punkt ist es vorbei mit der Vereinbarkeit & die Wirtschaft fordert ihr Recht – ob von den Männern oder den Frauen. Nicht zu vergessen auch, dass der Aufstieg nicht nur vom eigenen Biss & Durchsetzungswillen abhängt.
„The mommy (or daddy) track is the opposite of the leadership track, but why? (…) The deep assumption is that the fast track is the only track. As a society we lose massive amounts of talent. We lose the distance runners, the athletes with the endurance, patience, fortitude, and resilience to keep going over the long haul.“
Dass das Leben nicht auf Knopfdruck funktioniert. Es kommen nicht gefundene oder abhanden gekommene Partner dazwischen, unerfüllte Kinderwünsche & durchaus auch eigene Muttergefühle. Die up or out – Mentalität beim Karrieremachen steht dem entgegen – und kostet uns alle eine Menge verschenktes Potential. So kristallisiert sich eine nicht neue Wahrheit heraus, die man trotzdem nicht oft genug aussprechen kann. Ich bin der Meinung, sie ist auch der Grund, warum so viel über Vereinbarkeit gesprochen wird & so viele sich unwohl fühlen. Es geht nicht nur um den Kitaplatz von 8 bis 20 Uhr, es geht um das tiefe Gefühl, dass etwas falsch läuft.
„…much broader social, political, and cultural change is necessary. It cannot be achieved within the system, cooperation by cooperation, one progressive CEO at a time.“
Die Wirtschaft braucht & verlangt nach Frauen. Wir mögen, obwohl noch ein Stück Weg vor uns liegt, in einer guten Zeit leben, in der das Durchstoßen der gläsernen Decke theoretisch möglich ist. Altruistisch aber handelt Politik & Wirtschaft nicht. Jedes neue Vereinbarkeitsangebot muss bezahlt werden, aus Steuern, aus Arbeit. Auch wenn sich für den Staat die Aufzucht von Steuerzahlern locker lohnen sollte – sollte, müsste. Flexibilität für den Arbeitgeber widerum rechnet sich, wenn unterm Strich mehr oder zumindest gleich bleibende (meint häufig vor dem hinderlichen Ereignis eintretende) Arbeitsleistung für das Unternehmen dabei herauskommt. Deshalb ist auch der Weg von der Präsenzkultur zur Flexibilität ohne Naserümpfen noch weit. Das betrifft Frauen genauso wie Männer.
Es geht um die Frage: „Wie wollen wir leben?“. Eine Frage, die alle für sich beantworten müssen, die Verpflichtungen anderen Menschen gegenüber haben, seien es Kinder oder pflegebedürftige Angehörige. Männer wie Frauen müssen hier Antworten finden. Ja, selbst die flexiblen Singles müssen entscheiden, wie sehr sie Freundschaften pflegen & Freunden beistehen wollen. Wir wertschätzen das Arbeiten am eigenen beruflichen Fortkommen mehr als das Aufopfern für andere. Es ist kein Frauen, es ist kein Familienproblem.
Persönlich tangiert mich natürlich der Kinderteil trotzdem am Meisten. Es ist leicht, wenn man sich für Feminismus interessiert, fast alles zu beklatschen, was aus dem anglo-amerikanischen Raum kommt. Irgendwie sind sie immer ein wenig unaufgeregter, cooler & früher dran mit den Diskussionen. Tatsächlich ging es mir auch hier so & ich glaube, es ist der Grund, warum ich Slaughters Buch so mochte.
„One of the things I never expected about being a mother is the sheer pleasure I get out of watching my sons eat food I have cooked.“
Ich finde Kinder haben großartig. Es fällt mir schwer, Menschen zu verstehen, die keine wollen & ja, irgendwie sehe ich darin ganz konservativ den Sinn des menschlichen Daseins. Aber um Kinder genießen zu können, braucht es Zeit & Ruhe, viele Momente des Nicht-Gehetzseins, des sich-Einlassens, des fast klaren Kopfes, der sich nur dem Kind widmen kann. Momente, die immer schwerer zu finden sind im Hamsterrad der beruflichen Chancen & Selbstverwirklichung. Wahrscheinlich finde ich es deshalb so großartig, wenn Slaughter schreibt, wie gern sie Mutter ist, fern von aufoktroyierten Rollenbildern, aus denen man sich als emanzipierte Frau unbedingt befreien muss. Wenn sie schreibt, dass es sie zufrieden macht, wenn sie ihre Jungen bekochen kann. Solche Sätze kenne ich in Deutschland nur von Birgit Kelle. Wenn man sie sagt, rückt man sich in eine Ecke, in der man nicht stehen will. Vielleicht wird es Zeit, dass medial auch hier andere Stimmen zugelassen werden. Gegen das Schwarz-Weiß-Denken.
Foto: flickr – David Saddler – CC by 2.0