Leben & Lesen

Pessimistische Stofftiere

Unser neuer Mitbewohner ist eines dieser elektronischen Stofftiere. Das Tier ist ein Hund. Er ist süß und flauschig, aber anstelle von Knopfaugen hat er einen kleinen Bildschirm. Als ich noch klein war, nahm ich jede Nacht alle meine Kuscheltiere mit zu mir ins Bett. Alle, ohne Ausnahme. Auch wenn ich dann selbst kaum Platz hatte, dachte ich, die des Bettes Verstoßenen würden mir sonst traurig aus ihren Knopfaugen hinterherblicken.

Der Trick funktioniert bei den digital programmierten 2017er Augen nicht mehr. Sie schauen schon seit Tagen traurig ohne dass sie bei meinen Kindern eine Reaktion auslösen. Der Hund hat nämlich in regelmäßigen Abständen Hunger oder Durst. Dann muss man ihn per Druck auf seine Pfote (Auswahlmenu erscheint) mit einem Knochen oder Wasser (Bestätigung mit Druck auf den Bauch = Entertaste) versorgen. Tut man dies nicht, schaut er traurig und gibt in immer kürzer werdenden Abständen ein klägliches „Ich habe Hunger oder Durst.“ mit zitternder Computerstimme von sich. Da ich ihn allerdings bereits am ersten Tag auf die geringste Lautstärke stellte, als er noch nach ständigem „Spaß“ verlangte, entfaltet sein Flehen nicht die gewünschte Wirkung. So steckt der Hund seine kleiner werdenden Energiereserven in immer vehemmenteres Alarmschlagen – wie ein Elektrogerät, das den letzten Rest Akku für eindringliches Piepen und Blinken verschwendet und so nur noch schneller leer wird.

Irgendwann im letzten Monat wurde mir klar, dass ich dieser Hund bin. Ich bin wie er, wenn mir das Leben mal zu viel wird, wenn ich das Gefühl habe, dass etwas ganz falsch läuft oder nicht mehr zu schaffen ist. Wie der Hund investiere ich dann meine Energie zunächst in Panik, in richtig schlechte Laune und Selbstmitleid – auf jeden Fall aber nicht in problemlösendes Nachdenken.

Dabei habe ich schon ein paar Mal in Situationen gesteckt, die so verzwickt erschienen, dass ich dachte, so schnell nicht wieder zufrieden sein zu können. Und doch vergesse ich in jeder meiner persönlichen Apokalypsen, dass die vorangegangen sich trotzdem irgendwie gelöst haben und heute nicht mal mehr besonders bedeutsam erscheinen. Die Dinge zunächst schwarz zu sehen, ist dabei nicht nur einer meiner Charakterzüge, sondern eine ziemlich menschliche Eigenschaft. Wenn unsere Ur-Ur-Ur-Großmütter vor jeder Schlange davongelaufen sind, weil sie giftig sein könnte, sank die Möglichkeit, an einem Schlangenbiss zu sterben beträchtlich. Auch wenn sich Ur-Ur-Ur-Oma zu 99 Prozent der Zeit völlig unnötigen Stress machte. Vom ersten Impuls her pessimistisch zu sein, diente also irgendwann einmal der Selbsterhaltung. Heute bedeutet es – in Abwesenheit von Giftschlangen aber angesichts manchmal genauso unsicher erscheinender Lebensumstände – aber eben auch, dass man sich immer noch eine Menge unnötige Anstrengung bereitet.

Mir jetzt Stress zu machen, dass ich nicht sofort in eine „Tschakka“-Haltung verfalle, wenn mir Probleme begegnen, ist aber auch nicht die Lösung. Ein kurzer Abstieg ins Jammertal bedeutet nämlich auch, dass ich mir ein schönes – äh, schwarzes – Bild der Situation ausmale: so richtig düster und auf jeden Fall viel verzweifelter als sie in Wirklichkeit jemals sein könnte. Und wenn ich diese Vision dann betrachte, fällt es sofort ein bisschen leichter, sich an die ganzen bereits ausgemalten Weltuntergänge zu erinnern, die nicht eingetreten sind…oder am Ende doch nicht so schlimm waren…oder grauenhaft schlimm waren, aber wie alles irgendwann in der Erinnerung verblassten. Anfänglicher Pessimismus ist also gar keine schlechte Sache.

Das Flehen des Hundes ist übrigens irgendwann richtig flehentlich geworden – bis er auf einmal in meditativer Stille versank als hätte er diesen Text gelesen. Ich drückte seine Resettaste und auf einmal war alles wieder in Ordnung. Wirklich alles, wie ich verblüfft feststellte. Er hatte nicht einmal mehr eine Spur von Hunger oder Durst.

Foto: flickr – Rachel Gardner – CC by 2.0

2 Kommentare

  1. Ein wirklich toller und ehrlicher Beitrag. Mit den Kuscheltieren ging es mir als Kind übrigens genau wie dir. Schlimm war dann, wenn wir in den Urlaub gefahren sind und meine Mama kein Erbarmen kannte. Ein Kuscheltier mehr nicht!

    Und by the way, manchmal kann auch ein Ausflug ins Jammertal befreiend und pushend sein. Mir geht es zumindest so! Wenn ich manchmal alles blöd, scheiße und unfair finde, gelange ich dann doch relativ schnell an den Punkt, an dem ich mir denke: Mein Gott, das ist nun wirklich nicht das jammern wert…Ja und dann, dann starte ich umso motivierte wieder durch und packe das Problem beim Schopf.

    Liebe Grüße
    Rebecca

    • Dankeschön für deine lieben Worte, es kostet immer ein bisschen Überwindung wenn es persönlich wird. Umso schöner zu sehen, dass es anderen genauso geht. Die Urlaubssituation kenne ich auch. ❤️

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