Es ist kompliziert, denn irgendwann gab es Genuss nur noch in Maßen. Kontrolliert und durchdacht, gerade beim Essen, gerade für Frauen. Seitdem essen wir und wenn wir Glück haben werden wir irgendwie satt. Viele werden es aber auch nicht. Sie sind nicht satt, nicht zufrieden, weil es in unserer gesundheits- und schönheitsbewussten Welt kaum noch möglich ist, eine unbeeinflusste Esserin zu. Essen ist leicht verfügbar, deshalb müssen wir es gut durchdenken. Brauche ich das wirklich, habe ich gut gekaut, welches Gefühl will ich vielleicht überdecken?
Noch schwieriger wird es, wenn beim Gesundheitsbewusstsein die Angst vor Gesundheitsgefährdung mitschwingt. Weil ein „gutes“ Lebensmittel uns vielleicht schützen kann, aber ein Bissen von einem „schlechten“ uns ganz sicher einen Schritt näher ans Grab bringt. Auf Dauer macht uns das ein schlechtes Gewissen und schürt die Angst: vor falschem Essen, dem falschen Körper, vor Krankheit, dem Zu-dick- oder Zu-dünn-Sein und überhaupt vor dem Irgendwie-nicht-richtig-Sein. So wird unsere unbelastete Beziehung zum Essen verschüttet und wir schwanken zwischen den Extremen.
Trotzdem will ich über ein Extrem schreiben, über die Freude richtig viel zu essen, richtig, richtig viel. Das Alltagsglück ein geplantes oder ungeplantes Gelage zu erleben, weil einen das Essen überwältigt, der Geschmack, die Textur. Bei vier Personen für acht gekocht zu haben, weil Reste am nächsten Tag das Schönste sind und auf halber Strecke festzustellen, dass nichts übrig bleiben wird. Zu viel zu essen, so viel, dass man sich kaum noch bewegen kann, dass einem fast schon schlecht ist, dass man die Hose öffnen muss und sich danach kurz hinlegt. Weil es so gut ist, man in so guter Gesellschaft ist, dass es Frevel wäre aufzuhören. Weil man hier noch einmal etwas probieren muss, obwohl man eigentlich schon weiß, wie es schmeckt. Auch wenn man zehn Minuten vorher gesagt hat, dass jetzt wirklich nichts mehr reingeht. Ein bisschen Platz ist immer noch, um sich daran zu freuen, dass man sich gerade völlig überisst, dass man mit allen Sinnen dabei ist, nachgibt und sich gut damit fühlt.
Zu viel ist dann genau das, was wir machen sollen beim Essen, es ist ein Hören auf die Signale unserer Bäuche und Köpfe. Die signalisieren eben manchmal Exzess und Maßlosigkeit, das Zurückholen des eigenen Hungers – nicht Appetits. Ist das eine Ersatzhandlung, um irgendwo die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen? Fehlende Selbstbeherrschung? Vielleicht. Ich könnte von mir behaupten, eine ziemlich normale Beziehung zum Essen zu haben. Das stimmt aber nicht. Denn die hat niemand. Meistens ist mein Kopf ausgeschaltet, wenn ich mich an diesem Mehr-als-satt-Gefühl freue. Wenn er eingeschaltet ist, denke ich oft an die Mädchen, die mir stundenlang von ihrer Liebe zum Essen und Kochen erzählten, um dann nochmal laufen zu gehen. Die, die andere musterten, als wollten sie sie auch verschlingen. Ich denke an die Frauen, die Muffinbleche mitbringen, um sie in Teeküchen zu stellen (Nehmt euch gern welche!), beim Backen aber selbst schon so viel genascht haben, dass sie nicht mehr können. Ich denke an mich, an uns und daran, wie oft wir über Essen nachdenken. Wie viel Gewicht uns das gekostet hat und wie gewichtiger wir sein könnten. Und dann nehme ich mir noch einmal nach, ein bisschen Platz ist immer noch.
Im November schreibe ich über kleine schöne Dinge, weil ich finde, dass unser Alltag gute PR brauchen kann. Mehr dazu hier. Es ging bereits um:
Bild: flickr – Grannies Kitchen – CC 2.0