Es ist zwei Jahre her, dass die irische Journalistin Emer O’Toole in Großbritannien für Diskussionen sorgte. Sie hatte sich, zunächst als Experiment angelegt, 18 Monate lang nicht rasiert. Über diese Zeit & die Folgen berichtete sie mehrmals im Guardian, der Huffington Post & war Gast in vielen Talkshows. Ihre, sie selbst überraschende, Erkenntnis: die Reaktionen der Männer- & Umwelt waren weniger negativ als gedacht. Vor fast genau einem Jahr rief O’Toole 2014 als „year of the bush“ aus. Tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass im vergangenen Jahr viel über sichtbare Körperhaare gesprochen wurde. In der BRIGITTE berichtete man kurz vor Jahresende von gefärbten Achselhaaren als neuem Trend. Ein Veet-Werbespot erntete viel Kritik.
In ihm entschuldigt sich die Freundin, dass es ein bisschen stoppelt, sie hätte gestern die Beine rasiert. Am Ende erfährt man „Don’t risk dudeness.“, also „Pass auf, dass du nicht zum Typ wirst.“ Ein Slogan verrät, mit Veet ist man frau „womanly around the clock“, nämlich rund um die Uhr Frau.
Mittlerweile, so war mein Eindruck, muss auch die Schönheitsindustrie sensibler sein.
Wahre Schönheit Kampagnen versprechen Umsatz.
Wahre Schönheit-Kampagnen, die oft auch reißenden Umsatz versprechen, künden davon, dass man nicht mehr ganz so platt die Stereotype rein hämmern kann. Warum ich trotzdem nicht vor Freude aufspringe, hatte ich hier geschrieben. (Auf einen weiteren schönen Artikel hierzu hatte mich @mamanotes auf Twitter hingewiesen.)
Wie gesagt, das dachte ich. Und war schockiert, als ich heute auf die Gillette Venus Website stieß. (Gillette hat gerade selbst einen dieser „Lass dich nicht in Schubladen stecken, sei wer du bist.“-Spot zusammen mit dem Hashtag #SagUndDazu herausgebracht.) Unter der Rubrik „So wird rasiert“ findet sich auf der Website eine Anleitung zu einem Mutter-Tochter-Gespräch. Da steht: Plötzlich verwandelt sich Ihr kleines Mädchen in einen Teenager, ihr Körper verändert sich, sie interessiert sich mehr und mehr für das andere Geschlecht und ist dem Gruppendruck Gleichaltriger ausgesetzt. Auch wenn Sie zunehmend unabhängiger wird, braucht Sie dennoch Ihre Hilfe, um die Göttin in sich zu erwecken, da Sie wissen, wie Sie ihr Selbstbewusstsein stärken. Nach einigen Rasiertipps kommt die Frage „Wie erkläre ich meiner Tochter, dass sie noch zu jung für das Rasieren ist?“. Antwort: „Wenn sie versucht, sich ihren Freundinnen anzupassen, erinnern Sie sie daran, dass jeder seine eigene Persönlichkeit hat. Schämt sie sich wegen der Haare an den Beinen?
Helfen Sie ihr dabei, Kleidung auszuwählen, in der sie sich sicher fühlt.“ Finde ich nicht den besten Tipp, der Tochter zu erklären, sie solle lange Hosen tragen, bis ich es ihr erlaube. Dass man dem Gruppendruck nicht nachgeben muss, ist prinzipiell ein guter Hinweis. Leider nimmt Gillette sich selbst in seinen Alibiantworten nicht ernst & empfiehlt der Tochter einen Artikel später, eine tolle Pyjama-Party mit ihren Freundinnen zu veranstalten. Die Einleitung hierzu liest sich erstaunlich ähnlich zum Mutterartikel mit einer Ausnahme: „Seien wir mal ehrlich: Du wirst erwachsen. Genauso wie deine Freundinnen und daher habt ihr Fragen zu allem. Angefangen bei Jungs bis hin zu Schönheit. Genieße also einen Abend mit deinen engsten Freundinnen, indem ihr euch gegenseitig Geschichten erzählt, Geheimnisse austauscht und über Sachen redet, die euch ein tolles Gefühl verleihen.“ Der Ablauf für den Abend wird ebenfalls mitgeliefert: „Sei die Wissensgöttin für schöne Beine.“ verspricht man. Nach der Rasur heißt es: Ab auf den Laufsteg! „Es ist Zeit, diese schönen Beine zu zeigen.“ Dann wird das beste Outfit für die „besten Beine“ gesucht. Schöne, beste… – was suggeriert werden soll, ist klar.
Das Ganze ist nicht neu. Bereits 2007 gab es von der amerikanischen Marke Nair eine Produktlinie für “first-time hair removers”. Die Zielgruppe lag laut Firmenaussage bei 10 bis 15 Jahren. Im gleichen Atemzug nahm man die Männer bezüglich Körperhaarentfernung in Angriff. Der Grund ist einfach. Größere Konsumentengruppe verspricht höheren Umsatz. Die Strategie war erschreckend ähnlich.
Die Zielgruppe waren 10 bis 15jährige Mädchen.
Auch hier gab es Pyjama-Parties & Erklärhilfen für Mütter. Wahrscheinlich würden mir die Presseleute von Gillette ähnlich wie die von Nair mit Marktbeobachtungen kommen. Der Bedarf bei dieser Zielgruppe ist eben da. Ist das das Huhn oder das Ei? Eine kurze Internetrecherche zeigt, von der Mädchen (Intimrasur wichtig oder Quatsch?) bis zur BRAVO (Das Thema Haarentfernung ist super aktuell. Trendy sind glattrasierte, beinahe haarlose Körper.) findet sich das Thema. Bei den mir bekannten Youtuberinnen werden Produkte für die Rasur vorgestellt. Auch zunehmend sexualisierte Kleidung für Mädchen (immer tiefer sitzende Hosen, sehr kurze Shorts, knappe Bikinis & Unterwäsche) mag ihren Teil dazu beitragen.
Natürlich ist es die persönliche & individuelle Entscheidung jeder Frau, ob sie sich rasieren will. Ich gebe auch gern zu, dass ich persönlich mich mit nichtrasierten Achseln schwer tun würde. Jede Frau soll selbst entscheiden. Das kann man nur, wenn Haarlosigkeit nicht die von allen Seiten propagierte Norm ist. Und ich spreche von jeder Frau. Das ist der Knackpunkt. Ich erinnere mich noch gut an meine Pubertät. An die Unsicherheiten. Werden die nicht hier zu Geld gemacht? Ist es nicht ein Problem, wenn man die ersten Anzeichen des Frauwerdens, des Erwachsenseins bereits ausradiert, bevor sie überhaupt richtig da sind? Wird nicht den Müttern eine äußerst komische Verantwortung zugeschoben mit diesen Erklärhilfen? Ich muss mit meinem Kind sicher über Sex sprechen, aber doch nicht zwingend übers Rasieren. Hier wird versucht zu normalisieren, Zweifel auszuräumen. Im Unterbewusstsein denke ich als googelnde Mutter doch, vielleicht machen es ja alle…Vielleicht muss das so.
Am Ende des neuen „Lass dich nicht verbiegen.“ – Gillette-Spots steht auf dem Bildschirm: „Take a stand against labels.“.
Klar Stellung beziehen.
Im deutschen Untertitel übersetzt man der Intention der Werbung entsprechend „…wehr dich gegen Schubladendenken.“ Es könnte aber auch heißen: „Bezieh klar Stellung gegenüber Marken.“ Lasst uns das doch machen. Ich mache es. Gillette, ich finde das mehr als gruselig. Als Mutter einer Tochter graut mir vor der Zeit, wenn sie eure Botschaften entdeckt.
Ich finde , Gott sei Dank haben in den 80er Jahren die Damen angefangen ,sich zu rasieren.
Damenrasur gibt es schon lange ,war früher eher in den oberen Bevölkerungsschichten üblich . Vor 30 Jahren wurde sie populär. Ich finds gut. Ich muß mich mit schaudern an die Zeiten anfangs der 80er erinnern , als die Mädchen mit Achsel- und Beinhaaren herumliefen und einen dichten schwarzen Busch in der Körpermitte vor sich hertragen mußten . Ich stehe überhaupt nicht auf Haare , auch Männer finde ich enthaart ästhetischer. Z.B. in kurzen Hosen oder beim Schwimmbadbesuch und in der Sauna .
Ihre Kosmetikerin hat schon recht , wenn sie Ihnen auch die Armhaare und die Gesichtshaare entfernen will . Das sieht einfach gut aus ! Lassen Sie sich das doch einfach mal machen . Das Gefühl wird Sie überzeugen . Haut ohne Haare ist einfach schöner.
Persönliche Präferenzen sind die eine Sache, aber schon bevor man diese entwickeln kann, erklärt zu bekommen, was die Norm und notwendig ist geht gar nicht. Darum ging’s im Text.
Wie krass! Schon in den Achtzigern war der Druck da und meine Tante aus Amerika brachte mir damals immer säckeweise Einwegrasierer mit, damit ich „anständig“ rumlaufe. Was da heute abgeht, ist ja irre. Eigentlich, würde es nach meiner Kosmetikerin gehen, sollte ich ja meine Arm- und Gesichtshaare auch entfernen. Ich bin da aber nicht so etepetete und schlampe gerne mal mit dem Rasieren. So what?! Hauptsache ein Lachen auf dem Gesicht. Zumal, es gibt auch Männer die stehen auf Haare bei Frauen. Tatsächlich! Na, vielleicht nicht an den Beinen, aber… Experimentieren macht Spaß und lasst Euch von der Werbung keinen Sch*** erzählen.
Weil es mir gerade in einer anderen Sache ebenfalls über den Weg lief:
http://de.wikipedia.org/wiki/Konformit%C3%A4tsexperiment_von_Asch
Man kann mit den sozialen Netzwerken und ihrer teilweisen Reflexhaftigkeit wirklich viel spielen. Aber ich habe auch eine andere Beobachtung, um hier nicht gänzlich der Hoffnungslosigkeit anheim zu fallen.
Kinder werden mit zunehmendem Alter wie ihre Eltern. Nie ganz, aber sie nähern sich stark an. Weniger empirisch beobachtet würde ich ergänzen… Ich glaube das Wichtige ist, den Kindern die Basis mit auf den Weg zu geben. Auch wenn sie die abstoßen und nicht annehmen wollen. Sie wirkt dann später und ist das Fundament, auf dem sich der Mensch mit zunehmendem Alter konstituiert.
Der Rest ist… Leben.
Ja, das stimmt, wird mir auch immer mehr bewusst, wenn ich im Privaten beim Wachsen zugucke. Trotzdem ist es ja nicht falsch, an eine Welt zu glauben, wo man sich von ein bisschen weniger Zwängen freimachen muss. Übrigens bist du im letzten Lila-Podcast mit der schönen Wortschöpfung „Reflexmedien“ zitiert wurden.