Was erwartet man von einem Job: Selbstverwirklichung, Coolnessfaktor, ein super Gehalt? Bärbel vom Blog Farbenfreundin schreibt über ihren Jobwechsel von der hippen Agenturwelt in die Baubranche. Und berichtet von Klischees, die vielleicht nur Vorurteile sind. Damit ist sie meine wunderbare Gastautorin im September. Viel Spaß beim Lesen.
Einen ziemlichen Kulturschock erlebte ich, als ich vor Jahren aus der Metropole Berlin in die Landeshauptstadt von Hessen – nein, nicht Frankfurt sondern Wiesbaden – zog. Ähnlich extrem war der folgende Jobwechsel von der frauendominierten Agenturszene zur männerdominierten Baubranche.
Agentur ist ja so cool, wenn man sich’s leisten kann!
Ganz ehrlich, ich arbeite tatsächlich des Geldes wegen (ansonsten würde ich nur noch bloggen, reisen und Yoga machen) und wenn dann meine Putzfrau netto einen höheren Stundenlohn hat als ich, kann da was nicht stimmen. Das war mir eines Abends beim Nachzählen aufgefallen und deshalb musste ein Jobwechsel her. Alleine das angebotene Tarifgehalt war so enorm, dass die Agenturmädels ungläubig den Kopf schüttelten. Dazu noch einen stattlichen Jahresurlaub zuzüglich Urlaubsgeld, Gleitzeitkonto, vermögenswirksamen Leistungen, übertariflichem Zuschlag, Bonuszahlung… Der Arbeitsplatz hell und modern, die Arbeitsmittel von bester Qualität, die Kollegen in meinem Alter. Schulungen, Weiterbildungen und Incentives noch obendrauf. Wohl im Lotto gewonnen?
Die Kolleginnen bemitleideten mich trotzdem.
„Uh, die Männer da tragen bestimmt alle diese Kurzarm-Karohemden und sind voll komisch.“ Einzig mein Bankberater freute sich. Denn endlich sollte sich meine prekäre Finanzsituation aufhellen und der mehrfach überzogene Dispo irgendwann mal ausgeglichen sein. Endlich konnte ich meinen schrottigen Kleinwagen gegen etwas Schickes tauschen und dazu meinen nächsten Urlaub (Fernreise!) planen. Es kam alles anders und noch viel besser, denn hinter der vermeintlich biederen Fassade entdeckte ich so manchen schillernden Männerlebenslauf. Da wäre so mancher Hecht zu angeln, nur mal so als Tipp für die weiblichen Singles unter euch. Auch wenn das Hemd vielleicht kleinkariert ist, die Vita schaut oft anders aus. Denn als Maschinenbauer mitten in China eine Kläranlage zu bauen oder war es der Iran? Ach nein, dort war es ein Staudamm und zuvor in Nordamerika ein Brückenprojekt. Solche Menschen wissen oft vom Miteinander und der Völkerverständigung mehr als jeder Kommunikationsberater, dem ich vorher begegnet war.
Auch in Sachen Kinderbetreuung oder Elternzeit war der eine oder andere Ingenieurspapa sehr fortschrittlich.
Während in der Agentur ein Agenturhund zu betütteln war und kaum einer an Nachwuchs dachte, hatte ich im neuen Job öfters den Nachwuchs im Büro.
Grau war gestern, denn bunt macht das Leben farbiger. Im Blog Farbenfreundin geht es um alles, was ein Lächeln auf die Lippen zaubert und das Herz bewegt: Also um das Leben, gutes Essen und manchmal auch um Mode und die vielen anderen (Frauen-) Themen.
Und wenn Papa in Meetings war, half ich per Google-Nachhilfe mit Bruchrechnen oder suchte Fussballergebnisse raus. Während ich in der Agentur auch die Kaffeemaschine auf Trapp halten musste und sämtliche Kaffeepötte in die Spülmaschine räumte, war hier klar: Jeder räumt seine Tasse selbst weg.
Okay, es gibt auch Schattenseiten: „Kannst Du nicht mal wieder deinen Charme bei der IT zum Einsatz bringen? Wir kommen mit der Datensicherung so nicht weiter. So ein kleiner Flirt, hat doch das letzte Mal auch super geklappt. Der Typ von der IT steht doch auf Dich.“ Der kleine Alltagssexismus eben. Oder hätte ich es als Kompliment nehmen sollen? Ungewöhnlich ist es leider nicht. Übrigens auch nicht in Agenturen. Dort wird’s nur versteckter gehandhabt und ist der Grund, warum die junge Praktikantin mit zum Kundentermin darf.
Also, wo arbeitet es sich jetzt besser?
Naja, Geld wiegt vieles auf. Die Alternative sähe so aus, dass ich in der Kommunikationsbranche für einen Bruchteil des Geldes, bei einer knapp 60-Stundenwoche ohne Rücksicht auf gesetzliche Bestimmungen schuften würde. Das Ganze in Jeans und Flipflops statt Kostüm und per Du. („Du, das macht dir doch nichts aus, die Präsentation noch einmal farblich zu überarbeiten, während wir mit dem Kunden auf die Afterwork-Party gehen? Ich bräuchte das dann morgen früh um 8 als Booklet schön ausgedruckt, am Besten dreimal und bitte binden.“)
Adieu, coole Kommunikationsbranche. Mit Ü30 verändern sich die Ansprüche und die ständigen Überstunden machen sich nicht bezahlt, sondern nur einen fahlen Teint. Auch wenn die Agenturparties mit den Mädels echt legendär waren.
Foto: flickr – Hugo Chinaglia – CC by 2.0
Hallo Ernst, Danke für die positive Rückmeldung, freu. Ja, ich habe viele wichtige Erfahrungen in der hippen Agenturbranche gemacht und ganz ehrlich verstehe ich auch die schlechten Gehälter nicht, weil, es wird ja enorm viel Geld umgesetzt…
Grüße
Bärbel aka Farbenfreundin
Hallo Bärbel,
interessante Beschreibung eines Wechsels von der „schilddrüsenüberfunktions heiße Luft auf hoher Drehzahl-Welt“ in eine, in der man eher was bringen muß, da sonst die Brücke einstürzen würde. Wobei auch erstere für junge Leute als Erfahrung eine zeitlang ok ist. Schön zu lesen.
Wünsche Dir alles Gute
Ernst
Hallo liebe Jule,
herzlichen Dank für das Feedback. Oh ja, es ist schon merkwürdig, dass man bemitleidet wird. Verkehrte Welt. Klar, auch ich arbeite viel, aber nicht annähernd so lange und so schlecht bezahlt wie zu Agenturzeiten.
Alles Gute für Dich!
Herzlichst, Bärbel
Ein wirklich schöner Erfahrungsbericht. Ich arbeite bei einer Bank und kriege oft mitleidige Blicke von Bekannten oder Freunden, die sich in diesen ganzen Kreativberufen total ausbeuten lassen. Dan geht es mir wie dir: Es ist schließlich nur Arbeit und auch dort kann man eine ordentliche Tätigkeit finden. Aber das wollen sich die anderen nicht vorstellen, weil sie ja auch irgendwie eine Rechtfertigung brauchen für ihren „tollen“ Job. Das Ganze geht dann mindestens nach hinten los, wenn mehr Privatleben kommt, wenn sie nicht den Freund oder Freundinnen in der gleichen Firma haben oder gar Kinder kriegen.
Hallo Bärbel, ich hab viel wiedererkannt in deinem Gastbeitrag. Eine Frage stellt sich mir aber: Wie hast du es denn geschafft in die Baubranche zu wechseln? Bist du dort immer noch im Marketing, oder hast du komplett „umgesattelt“ und bist selbst Ingenieurin geworden?
Hallo liebe Ana,
schön, dass es Rückmeldungen gibt und Danke, dass Du fragst! Weißt Du, als Sekretärin bin ich weniger branchengebunden. Klar, inhaltlich ist es jedes mal eine Umstellung, aber die Aufgaben im Sekretariat ähneln sich und wie bei jedem Jobwechsel muss man sich in den Rest eben neu einarbeiten. Grundsätzlich rate ich zu regelmäßigen Jobwechsel, denn ich habe finanziell und menschlich jedes Mal gewonnen.
Hallo Bärbel, vielen Dank für die Antwort! Deine Einstellung – auch hinsichtlich Jobwechsels im Allgemeinen – finde ich erfrischend anders. Viel Erfolg noch!