Promis & Diäten, Schönes & Banales
Kommentare 19

Gedrittelter Nachtisch

Liebe X,

wir müssen reden. Weißt du, ich muss für so eine Verabredung zum Abendessen ein paar Dinge arrangieren. Deswegen bin ich auch ein bisschen egoistisch, wenn es um solche Abende geht. Ich möchte, dass ich Spaß habe. Ich freue mich auch auf ein Essen, das nicht aus kindertauglichen Frikadellen, Nudeln oder in Püree verstecktem Gemüse besteht.

Und ich freue mich auf dich. Auf gute Gespräche mit dir. Beides funktioniert nicht mehr, seit du nicht mehr halbe, sondern nur ein Drittel von einem Nachtisch bestellst. Seit du vom Sport herein rauschst (in den Italiener, zu dem du unbedingt wolltest) und noch vor dem Hinsetzten verkündest, dass du eigentlich keinen Hunger hast und nur den Beilagensalat bestellst. Es macht einfach keinen Spaß, wenn ich mich auf die Pasta freue.

Fast wünsche ich mich in die Zeit zurück, als du gar keinen Nachtisch bestellt hast. Und das Ganze Diät nanntest. In Wirklichkeit wünsche ich mir aber wohl die Zeit zurück, als Essen nur eine angenehme Untermalung unseres Gespräches war und nicht der Dreh- und Angelpunkt der Unterhaltung. Mit meinem Essen spielst du das „Es ist ewig her, dass ich das nicht mehr gegessen habe“ – Spiel. Ich weiß, dass du seit vier Monaten keine Milchprodukte mehr gegessen hast, seit vierzehn kein rotes Fleisch und seit mindestens zwei Jahren keine Pommes mehr. Ich verstehe das ein wenig. Wir sind alle irgendwie gesundheitsverliebt und viele dazu noch körperfixiert. Wir stellen dann eine Distanz zu anderen her. Man fühlt sich kurz besser und es hilft einem selbst. Denn sich immer zusammenzureißen, ist eben auch anstrengend. Ich erzähle auch allen, dass ich jetzt schon zwei Jahre keinen Kaffee mehr trinke und glaube, es geht mir wirklich besser damit.

Aber wir reden nur über Verzicht. Oder über die Anzahl von Schritten. Oder über Proteinriegel in deiner Handtasche. Es war nicht gesund. Aber die gemeinsamen Erinnerungen von Seriennächten, in denen uns schlecht von Eiscreme war, sind mir die lieberen. Es geht mich vielleicht nichts an, welche Entscheidungen du triffst, was du mit deinem Körper machst. Aber ich bemerke deine Unruhe, wenn mein Essen auf dem Tisch steht. Ich möchte dich umarmen und dir sagen, dass die Welt nicht im Chaos versinkt, wenn du Kohlenhydrate isst.

Als dieser gedrittelte Kuchen an unserem Tisch ankam und du mich fragtest, ob ich nicht auch etwas will, weil er ganz schön mächtig aussieht, da war ein Punkt erreicht. Weißt du, ich finde, wenn es um gesellschaftliche Esssituationen geht, gibt es unausgesprochene Regeln. Nimm von mir aus kein Dessert. Aber wenn du eines nimmst, nimm kein Drittel und versuche es zu verteilen. Man sollte sich ja auch eine Hose anziehen, wenn man dem Paketboten öffnet. (Schau, wir hätten zum Beispiel über die Geschichten meines Postboten lachen können.)

Ich glaube, es geht nicht mehr lange gut mit uns. Ich kenne dich gut genug, um zu wissen, dass du bemerkst, dass ich mich unwohl fühle. Mich stört, dass mein Körper so unfit geworden ist, dass ich Muskelkater nach einem Strandspaziergang bekomme. Meine wabbeliger-als-vor-dem-zweiten-Kind-Oberarme stören mich eigentlich nicht. Nur, wenn ich dir gegenüber sitze und du es zum Thema machst. Deshalb werde ich bald etwas sagen. Und du wirst mir vermutlich vorwerfen, dich nur zu kritisieren, weil ich meine eigene ungesunde Lebensweise rechtfertigen will.

Ich bin traurig, es ist schade. Es ist doch nur Essen. Aber für mich war Essen unter lieben Menschen eben nie nur Essen. Es war immer mehr: Nähe, Gemeinschaft, Vertrautheit. Deshalb schmerzt es mich, wenn ich das Gefühl habe, dass jemand es sich versagt.

Foto: flickr – Andrew Sweeney -CC by 2.0

19 Kommentare

  1. Pingback: Linkssammlung 37 – 26.05.2017 – patrickwillms.de

  2. meerlucy sagt

    Vielleicht ist das Essen und Nicht-Essen zu einer Art Ersatzreligion geworden – mit Begründungen, Rechtfertigungen, selbst auferlegten Regeln und Geboten – und mit der Illusion, seine Gesundheit beeinflussen zu können oder sich ein langes Leben verdienen zu können.
    Auch in den meisten Religionen gibt es Nahrungsvorschriften, Fastenzeiten, Fleischvorgaben und ähnliches!

  3. Wenn man sich zum Essen trifft, trifft man sich zum Essen. Und redet beim Essen. Meinetwegen auch über (s) Essen. Eher weniger über (s) Nichtessen.
    Letztlich muss sich niemand für seine Art der Nahrungsaufnahme rechtfertigen.
    Auch missionieren ist nicht erwünscht; überhaupt ist bei einem Essen störend, wenn der Genuss den einen / die eine quält und andere einem den Genuss vergällen mit „Verzichtsgelaber“ und dergleichen.
    Wenn Essen das Gespräch stört oder zu stören droht, gibt es Möglichkeiten sich anderweitig zu treffen, zum Wein, Café, Tee, Smoothie oder Brunnenwasser, was immer mundet.

    Es geht schließlich um die Erwartung, mit der man sich zum Essen trifft. Der-/diejenige sollte im Vorfeld sagen, wenn Essen gerade den Lebensstil stört, der Geldbeutel es nicht hergibt oder andere Hindernisse den Genuss beeinträchtigen. Dann muss man diese Umstände nicht immerzu thematisieren, sondern kann sich einfach auf eine schöne Begegnung mit guter Unterhaltung einstellen.

    • Ja, so sehe ich es auch und aus dieser Verstimmtheit entstand dann eben der Text. Lieben Dank für deinen Kommentar.

  4. Manchmal lass ich das Nachtisch-Schälchen stehen (weil ich derzeit krank bin) Aber in der Regel bin ich die, die dir das ganz Schälchen klaut:-)) Geht das auch?

  5. Christina sagt

    Scheinbar ist es ein Entweder-Oder.
    Gemütliches Schlemmen, Beisammensein ohne Kalorienzählen und dafür ein bisschen „chubby“ oder aber recht zwanghafte Kontrolle der Nahrungsaufnahme – dafür aber einen trainierten und schönen Körper.
    Und beide Lebensstile beißen sich naturgemäß.

    • Das weiß ich gar nicht mal, wenn ich mich ordentlich bewege, habe ich kein Problem. Zum Bewegen muss ich natürlich erstmal den Schweinehund überwinden, wenn ich es lange nicht gemacht habe – wie nach Schwangerschaft usw. – aber dann geht es eigentlich auch. Aber das ist natürlich alles sehr individuell.

    • Bettina sagt

      mittlerweile glaube ich, dass Bewegung überbewertet wird
      ich laufe seit über 20 Jahren regelmäßig im Wiener Wald (also hügelauf und -ab, es ist viel anstrengender, aber auch viiiiiiiiel schöner) und werde trotzdem nicht leichter (eher im Gegenteil)

      vor drei Jahren hatte ich einmal schwere Probleme und konnte nichts außer ein paar Bissen essen, Sport machte ich zu dieser zeit null und nahm trotzdem kräftig ab – gut, ich gebe es zu, es ging danach auch wieder bergauf :-P

      derzeit geht es wieder ein bisschen „bergab“, und ich mache nur sehr wenig Sport……….;-)

  6. Ich bin ja oft diejenige, die verzichtet. Weil ich Vegetarier bin, mir von vielen Lebensmitteln schlecht wird – und im Moment auch, weil ich bei einem Abendessen nicht das Geld habe, wie meine Begleiter, mir was Tolles zu gönnen. Aber mir ist es immer lieber, wenn der Verzicht nicht thematisiert wird. Vielleicht, weil der Verzicht von Fleisch für mich kein Verzicht ist, nicht der Rede wert. Und vielleicht weil ich ja sonst gar nicht verzichten möchte, warum noch darauf rumreiten? Wenn der Verzicht so ein Thema ist, steckt sicher ein großes Leiden dahinter (oder ein großer Egozentrismus).
    Ach, eigentlich finde ich Essen generell nicht interessant genug, um es so groß zu bereden. Aber die Geschichte mit dem Postboten würde ich gerne hören!

    • Der Postbote hat jemanden im Nachbarhaus, der ihm IMMER nackt öffnet. Jetzt fühle ich mich immer unwohl, wenn ich den auf der Straße sehe. Nicht, weil ich es schlimm finde, sondern, weil ich das Gefühl habe, etwas zu wissen und er weiß nicht, dass ich es weiß.

  7. Ein schöner und, hmmm, nachvollziehbarer wie nachdenklicher Text. Genauso schwer wie es für mich ist, sich der Tafel Schokolade zu entziehen, genauso schwer finde ich es manchmal, nicht darüber zu sprechen. Dabei steht dies sinnbildlich für Vieles. Oft geschieht es aus der Unsicherheit heraus, über anderes reden zu müssen – etwas, dass näher ist und vielleicht außer Kontrolle geraten könnte. Am Essen kann man sich eben in beiden Richtungen festhalten.

  8. Kathrin M. sagt

    Ich fürchte, ich bin immer die auf der anderen Seite. Ich kann nicht gut viel essen, wenn ich zur Unterhaltung an einem Tisch sitze.

    • Da kenne ich auch jemanden, aber für mich völlig ok. Da geht die Unterhaltung dann ja nicht nur übers Nicht-Essen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert