Viele Artikel wurden zu dieser Studie geschrieben. Der, die herausgefunden haben will, dass uns das Betrachten anderer Leben im Netz unglücklich macht. Die Argumentationskette scheint logisch. Die Meisten posten eben häufiger Sonnenuntergänge und das eigene lachende Gesicht als Tränen, perfekte Leben also. Und wir fühlen uns klein. Unsere Reaktionen auf Postings scheint aber auch auf anderer Ebene beinahe automatisiert: Wir vergleichen, wir bewerten, wir beneiden, wir verdammen. Umso mehr habe ich mich über diesen Gastbeitrag von Julia gefreut. Weil er ehrlich ist und eine Brücke schlägt, wo wir sonst immer gleich zu wissen glauben, wo der Graben verläuft. Bevor ihr los lest, sei euch noch Julias wunderbarer eigener Blog (ebenso wie ihre anderen Onlineaktivitäten) aufs Wärmste empfohlen. Mit klugen, manchmal fast poetischen Texten – und immer mit einem emphatischen Blick auf die Welt.
Meine facebook-Freundin ist nicht meine Freundin. Wir sind miteinander zur Schule gegangen. Seitdem haben wir uns nicht mehr gesehen. Fast 20 Jahre nicht. Aber auf facebook sind wir verbunden.
Meine facebook-Freundin hat ein großes Publikum. Sie sendet – wir sehen zu. Sie fotografiert – wir spenden Beifall. Und das nicht zu knapp, denn meine facebook-Freundin postet wunderschöne Bilder. Jedes einzelne Foto ist wie eine Postkarte. Sie selbst mit überschlagenen Beinen auf einem Geländer sitzend, den Kopf in den Nacken gelegt.
Sie sendet – wir sehen zu. Sie fotografiert – wir spenden Beifall.
Sie mit einem Sonnenhut in der Hand und mit dem Rücken zur Kamera, die Füße im Meer. Sie in einem wunderschönen Kleid bei irgendjemandes Hochzeit. Meine facebook-Freundin hat feine, offene und freundliche Gesichtszüge, auffallend blonde, regelmäßig gelockte Haare und eine Figur wie ein Model. Sie ist wunderschön. Ihre Landschaftsaufnahmen stammen aus der halben Welt. Indien, Südamerika, Kanada, Neuseeland, Japan. Überall scheint sie schon gewesen zu sein, sogar gelebt zu haben. Ihre Detailaufnahmen fangen gekonnt ein, was ihre aktuelle Umgebung ausmacht. Marktstände, Bachufer, Gebäck, geschickt in Szene gesetzter Kaffee. Ein umwerfendes, leicht verschwommenes Lächeln in Richtung Kamera vor einem Tempel, ihre perfekt lackierten Nägel um ein Weinglas. Meine facebook-Freundin hat ein aufregendes, stilvolles, wunderschönes Leben.
Da könnte ich neidisch werden. Meine Social-Media-Streams zeigen Buchumschläge, unaufgeräumte Küchen, geschmückte Kindergeburtstagstische und seit neuestem Teetassen. Mein Leben hält dem Vergleich nicht stand. Es ist nichts Glamouröses an einem Alltag mit drei Kindern, in dem im Grunde jeder Tag dem anderen gleicht und du selbst doch nie genau weißt, wie und wo er zu Ende geht. Nur eines ist sicher: Es wird nicht in diesem schicken Sushi-Restaurant sein, das meine facebook-Freundin gerade gepostet hat, und auch nicht auf dieser Party im 100. Stock eines Hochhauses mit Panoramablick aus riesigen Glasfenstern, auf der sie letzte Woche war. Das Ende des Tages wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf dem Sofa abspielen, bei einem Film, einem Brettspiel, vielleicht einem Glas Wein. Mit Pech geht der Tag aber auch in einer Notaufnahme zu Ende, weil sich eines der Kinder plötzlich in Dauerschleife übergibt. Was ziemlich facebook-ungeeignet ist.
Manchmal stellt sie neue Fotos in ein Album, das sie „die Schönheit alltäglicher Dinge“ genannt hat. Ihre alltäglichen Dinge sind nicht meine. Ich bin nicht umgeben von wundervollen Blumen, Kleidern aus feiner Spitze, hochhackigen Designerschuhen und grandios angerichteten Obsttellern.
Sie stellt Fotos in ein Album, das sie „die Schönheit alltäglicher Dinge“ genannt hat. Ihre alltäglichen Dinge sind nicht meine.
Wäre ich es gerne? Aber sicher. Manchmal ist es schwer, diese Bilder zu betrachten und sich danach nicht seufzend umzublicken. Bis vor kurzem dachte ich manchmal: „Wieso sehe ich nicht so aus, stehe in Sydney vor der Oper, winke von einem weißen Segelschiff in Richtung Strand?“ Als würden mich die Fotos hämisch angrinsen, sieh her, mein Leben ist besser als Deins! Dann fiel mir etwas auf.
Ich habe meine facebook-Freundin noch nie losgelöst von mir betrachtet. Immer habe ich bewertet: Wunderschön dort, chaotisch hier. Aufregend dort, immer der gleiche Stress hier. Immer hatte ich das Gefühl, dass ihre Bilder mir etwas über mein eigenes, unperfektes Leben sagen wollten. Erst vor kurzem habe ich verstanden, dass das nicht so ist. Die Bilder meiner facebook-Freundin beschreiben lediglich sie selbst. Meine facebook-Freundin ist eine Ästhetin. Sie liebt es, sich zurecht zu machen und ihre Schönheit zu unterstreichen. Sie reist viel, hat keine Kinder, genießt Essen und Trinken und die Beziehungen in ihrem Leben. In allem sieht sie Schönheit. Sie hat ein hervorragendes Auge für Fotos und setzt diese Schönheit gekonnt in Szene. Jedes Foto eine Liebeserklärung an die Welt, jedes Bild von ihr selbst ein kleines Geschenk. Sie hat Freude an dem, was sie umgibt, und widmet sich mit viel Liebe zum Detail allem, was ihr begegnet.
Nein, dachte ich bei mir. Das wertet mich nicht ab. Im Gegenteil. Es lässt mich teilhaben. Teilhaben an ihrer Sicht auf die Welt, die sich manchmal nur durch die Umstände von meiner unterscheidet. Teilhaben an Schönheit und Ästhetik, sogar wenn ich ab und zu nur Chaos um mich herum habe. Ganz ohne „Sieh her!“ Sie wirft ihr makelloses Lächeln in Richtung Kamera und sagt: „In diesem Augenblick geht es mir gut“. Einfach so.
Foto: flickr – J CJ– CC by 2.0