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„Einmal Zeit, bitte.“ – „In normal oder qualitätsoptimiert?“

In der ZEIT gab es vergangene Woche ein Gespräch mit Frauen aus dem Netzwerk Working Moms. Es ging um die nicht wirklich neue Frage: Kann man beruflich sehr erfolgreich & eine gute Mutter sein?

Ich könnte jetzt darüber schreiben, dass der Großteil der Frauen das Ernährermodell einfach umgedreht hat. Sprich, der Vater flexibilisiert seinen Job nach den Bedürfnissen der Kinder. („Wenn Mütter bei mir anrufen, weil es um irgendwelche Verabredungen für Spielnachmittage (…) geht, rufen die genau einmal an…(…) weil ich Ihnen sage, wenden Sie sich bitte an meinen Mann!“). Für die Arbeitswelt ist das natürlich ungemein praktisch, weil sich so richtig nichts ändern muss. Es gibt eine(n) Ernährer(in) & jemanden, der die Familie am Laufen hält. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Jede sollte ihr Leben so gestalten, wie sie mag. Ich erwarte nicht von diesen Frauen, dass sie gesellschaftliche Strukturen im Alleingang „von oben“ aufbrechen. Oder anders formuliert: Ich wünsche mir eigentlich von Karrieremännern wie Karrierefrauen, dass sie sagen: „Telefonkonferenz um 20 Uhr, geht’s noch?“

Aber jetzt bin ich ein wenig abgeschweift & schon wieder beim Thema Kinder. Eigentlich schreibe ich nämlich, weil mir in dem Interview eine Passage begegnet ist, die etwas beschreibt, was häufig meinen Weg kreuzt. Bei Menschen mit Kindern und ohne.

Es geht um Zeit. Von der haben wir sowieso immer alle zu wenig. Aber neuerdings gibt es Zeit auch noch in zwei Qualitätsstufen. In neu & verbessert heißt das quality time. Das Konzept ist immer das Gleiche, ob es nun um Zeit mit Kindern, dem Partner oder Freunden geht. Es geht darum, die wenige Zeit, die man hat, „intensiv zu nutzen“, „ganz beim anderen zu sein“ oder „auch wirklich anwesend zu sein“. Ich habe das Gefühl, diese Sätze höre ich in letzter Zeit ständig. Von Paaren, die Fernbeziehungen führen, von Freundinnen, die sich endlich mal wieder sehen müssen oder eben von Eltern, wenn es um Zeit mit den Kindern geht.

3 Sachen finde ich an diesem Dogma der Selbst- und Fremdoptimierung besonders schlimm:

1. Auf Knopfdruck geht nicht

Ich bin selbst genauso. Wenn man jemanden zu wenig sieht & das schlechte Gewissen sich langsam Bahn bricht, dann steigen die Ansprüche an die Zeit, die man miteinander verbringt. Beispiel Fernbeziehung. Akribisch werden die Wochenenden geplant, ein Highlight jagt das nächste. Damit man sich am Sonntag im Zug ein bisschen weniger schlecht fühlt.

Das Problem dabei. Auf Knopfdruck funktionieren Menschen nicht. Nähe & Intimität lässt sich schwer nach Plan herstellen. Kinder sind da eigentlich ein schönes Beispiel. Die lange geplanten Attraktionen bleiben oft weniger im Kopf als der spontane Herbstspaziergang durch raschelndes Laub.

Menschen brauchen auch einfach Zeit zum Warmlaufen. Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen. Selbst wenn man einander vertraut ist. Eine Freundin von mir fährt regelmäßig den verhassten Weg zur Schwiegermutter im Auto mit, weil ihr Freund „dann ins Reden kommt“. Ohne Ablenkung, ohne Smartphone & ohne, dass die große & tiefe Unterhaltung geplant war.

2. Wie Äpfel mit Druckstellen

Zwangsläufig entsteht in dieser Zeitbetrachtung ein Gegensatzpaar. Es gibt die falsch genutzte Zeit, die irgendwie nicht an die eigenen Erwartungen heranreicht – wie Äpfel mit Druckstellen. Am Horizont glänzt das Versprechen der 1A-Ware Zeit, die alles wieder aufwiegt. Die so süß schmeckt, dass ein Biss schon ausreicht, um zufrieden zu sein. So dass man gar nicht den ganzen Apfel essen muss. Aber, wenn ich es nicht schaffe, genau diesen Apfel zu finden, dann mache ICH irgendwas falsch. Das macht Stress. Unzufriedenheit. Und Konkurrenz. Um wieder auf das Interview zurückzukommen. Wenn ich betone, dass ich die wenige Zeit mit meinen Kindern intensiv nutze, impliziere ich auch, dass Eltern, die täglich länger bei ihren Kindern sind, nicht das ganze Potential der gemeinsamen Stunden ausschöpfen.

Und am Wichtigsten: Mit dem Fokus auf mich selbst, sind die eigentlichen Zeiträuber aus der Verantwortung heraus.

3. Zu wenig ist zu wenig ist zu wenig

Denn: Zu wenig Zeit ist eben einfach zu wenig Zeit. Die Idee, dass es gut & schlecht genutzte Zeit gibt, ist manchmal hilfreich, wenn man erinnert wird, sich wirklich auf den anderen zu konzentrieren. Das Handy beiseite zu legen und nicht während der Unterhaltung in die Zeitung zu schielen. Aber auch diese Strategien gründen ja eigentlich in dem Gefühl, nie für alles genug Zeit zu haben. Sicher, eine gewisse Unzufriedenheit wird hier immer bleiben.

Ich finde trotzdem: Gerade im Hinblick auf die Arbeitswelt & die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben?, sollten wir uns mehr trauen zu sagen: Ich brauche mehr Zeit. Das, was jetzt noch für mich & die Personen, die mir wichtig sind heraus kommt, reicht nicht aus. Anstatt erstmal mit der eigenen Qualitätsoptimierung zu beginnen. Ein bisschen wie bei Momo & den grauen Herren. Ist die Zeit erst einmal weg, bekommt man sie nur schwer zurück. Sie ist störrisch, man kann sie nicht beliebig konzentrieren oder strecken. Und freiwillig wird einem selten mehr zugestanden.

1 Kommentare

  1. meerlucy sagt

    Hallo!
    Dieser Beitrag wurde noch nicht kommentiert und ich habe gesehen, dass er schon älter ist…ich bin heute beim Lesen in Deinem Blog darauf gestoßen und er passt gerade gut zu mir. Er spricht mir aus der Seele und die Frage „Wie wollen wir eigentlich leben?“ ist eine sehr passende Frage! Ich glaube, sich für weniger Dinge mehr Zeit zu nehmen würde an vielen Stellen gut tun (Privat und beruflich). Aber es fällt mir auch sehr schwer, Sache liegen zu lassen. Morgens die Zeitung, das Handy oder die Wäsche oder den Garten geht noch, wenn ich in guter Stimmung bin. Aber beruflich Mails mal nicht zu beantworten, Verwaltungsdinge liegen zu lassen um inhaltlich etwas wirklich sorgfältig zu durchdenken finde ich total schwer. Ich erwische mich auch immer wieder dabei, wie ich Mails abrufe, wenn die Kinder gerade ruhig spielen und wie ich sie dann auch noch bearbeite, wenn die Ruhe schon wieder vorbei ist. Und das Konstrukt von Quality time finde ich auch fragwürdig, weil es meiner Ansicht nach auf Knopfdruck nicht geht. Viele Grüße!

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