Über Claire Underwood aus House of Cards wollte ich schon lange schreiben. Der Start der 3. Staffel der Netflix-Serie erinnerte mich wieder daran. Dem ein oder anderen kommt die von Robin Wright gespielte Ehefrau von Francis Underwood vielleicht bekannt vor – als große Liebe von Forrest Gump. Die Rolle in House of Cards könnte kaum unterschiedlicher sein. Claire & Francis Underwood sind tief verstrickt in den amerikanischen Politikbetrieb bis hin zum höchsten Amt. Viel geschrieben wird über Claires eigenen beruflichen Erfolg & ihre Unabhängigkeit. Mit ihrem kühlen, eigentlich wenig emphatischen Charakter, so schreibt man, ist sie bereit, dem eigenen Fortkommen viel zu opfern.
Was hier mitschwingt, ist klar. Die Figur ist anders, neu & unkonventionell – weil sie sich verhält wie ein Mann. Oder wie Macht-Männer im TV dargestellt werden. Auch House of Cards lebt vom grandios-diabolischen Kevin Spacey als Francis, der sich im ureigenen Interesse durchs Leben manövriert. Solche Figuren sind nicht selten. Politikbetrieb & kapitalistische Unternehmen eignen sich gut für den kleinen Grusel der gepflegten Fernsehunterhaltung. Wir glauben schließlich alle zu wissen, wie es zugehen muss in den Schaltzentren der Macht, oder?
Claire ist so karriereorientiert wie ihr Ehemann. Über den Verlauf der Staffeln wird klar, wenn sie ihre großen Pläne auch mit seiner Hilfe realisiert, ihr eigener Plan tritt nie in den Hintergrund. Bereits in Staffel 2 hörte man sie den Ehemann warnen, es nicht zu versauen, was sie zunächst beruflich aufgegeben hatte für sein Fortkommen. „Ich weiß, was ich zu tun habe.“ erwiderte Francis und Claire fordert in Staffel 3 nun ein – einen Posten als UN-Botschafterin.
Karriereorientiere Frauen, die wie Männer agieren, gibt es häufiger in Film & Fernsehen. Doch werden diese gern irgendwann auf die vermeintlichen Tatsachen zurückgeworfen. Nicht selten sieht man dann die Kühle, Machthungrige geschlagen am Boden. Übertrumpft von einer herzenswarmen, liebevollen Konkurrentin, die den Typen, die Liebe & das Lebensglück mit nach Hause nimmt (spontanes Beispiel: der 80er Klassiker Die Waffen der Frauen).
Was Claire & Francis als machtsymbiotisches Paar außerdem so faszinierend macht, ist ihre Beziehung, die quasi einen Gegenpol zum romantischen Ideal darstellt. Obwohl hier niemand den beiden die Liebe absprechen will. Aber bei diesem symbolischen Paar ist die Ehe zweckgebunden. Nicht dem konservativen Verständnis nach, davon kündet die konsequente Kinderlosigkeit der beiden. Claire wird nicht über Kinder & auch nicht über ihre Beziehung zu Männern gedacht.
Liebevolle Gesten zwischen den beiden muss man suchen, da sie nicht im herkömmlichen, rosa-roten Blümchensinn daherkommen. Persönliches Glück scheint keine Kategorie und wird kaum thematisiert. Als Francis um Claires Hand anhielt, wurde bereits jede romantische Geste getilgt, indem er sie wissen ließ: „Sag nein, wenn du glücklich sein willst.“
Körperliche Anziehung ist eine weitere Kategorie. Sexszenen zwischen Claire & Francis bleibt die Serie zunächst bis auf einen Dreier mit homoerotischer Tendenz schuldig. In den ersten Folgen der dritten Staffel ist der erste Sex der Beiden eher ein Ablenkungs- oder Tröstungsmanöver im Moment der großen Niederlage. Es wird sich nicht aneinander festgehalten, keine Schwäche gezeigt. Vielmehr scheint dieser Sex allein dem Moment der Schwäche geschuldet.
Was wir beobachten ist kein romantisches Eheverständnis, wie es sich sowieso erst im 19. Jahrhundert entwickelte. Es ist eine Zweckehe, ohne den negativen Beigeschmack der Formulierung. Die Dinge, die wir heute als Basis einer funktionierenden Beziehung definieren würden (in Unterscheidung zur Freundschaft?): Liebe & Verantwortung auch für das emotionale Wohlergehen des Anderen, sind im Grund genommen recht neue Erfindungen & noch keine drei Jahrhunderte alt. Auch der ausschließliche Sex mit dem Partner gründete sich vor diesen Umbrüchen mehr auf die Sicherung der genetischen Nachkommenschaft als auf Vorstellungen von emotionaler Treue. Im Adel gab es – insbesondere über das gebärfähige Alter hinaus – schon immer die Vorstellung, dass sich sexuelle Erfüllung nicht in der Ehe abspielen musste. Wenn man sie dort fand, schön und gut. Aber weiß Gott nicht als Kriterium zum Eingehen der Beziehung. Die Ehe war schon genug mit anderen Zwecken belastet und diese waren wirtschaftlicher Natur. Besitz, Vermögen & damit einhergehende Macht waren weniger an Geschlecht geknüpft als man vermuten mag. Mindestens bei Abwesenheit des Ehemannes, aus welchen Gründen auch immer, übernahmen Frauen selbstverständlich wirtschaftliche & politische Aufgaben. Sie wählten & saßen in Ämtern in Städten oder Berufsvereinigungen. Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts fand man, dass dies nicht mehr möglich war. Wegen Eierstöcken und so.
Bei House of Cards werden gern Parallelen zu Shakespeare-Stücken thematisiert. Die simpelste ist das direkte Sprechen zum Publikum, wenn die Figur ihre Beweggründe erklärt. Die Beziehung von Claire & Francis hat aber mindestens genauso viel vom oben beschriebenen, „alten“ Ehe- & Partnerschaftsverständnis, wie man es in den Dramen findet. Claire ist eine durch und durch dramatische Heldin in diesem Sinne.
Den einzigen (unnötigen) Bruch, den sich die Serie erlaubt, ist, Claire mit einer Vergewaltigungserfahrung auszustatten. Die Liste der starken weiblichen Seriencharaktere, wo es scheinbar die Logik der Drehbuchschreiber_innen verlangt, dass diese an irgendeinem Punkt mit sexueller Gewalt gebrochen werden, ist sowieso einen eigenen Post wert (Maggie Gyllenhaal in The Honourable Woman, Elizabeth Jennings in The Americans, Frauen im neuesten Mad Max-Film). Im besten Fall geschieht dies aus unbedachter Faulheit der Autor_innen, da sich mit einer Vergewaltigung vermeintlich leicht scheinbare Tiefe, ein Konflikt oder ein kartharsischer Moment für die Figurenentwicklung konstruieren lässt. Dass auch Claire auf diesen Weg geschickt wurde finde ich ärgerlich, es mindert aber die Faszination für die Figur nicht.
Ich bin erst bei Folge vier der dritten Staffel. Wer sie bereits auf Sky oder im US-Netflix komplett gesehen hat wird vermutlich nur müde lächeln, da ich den Ausgang nicht kenne. Aber eine Prognose wage ich. Nicht selten wachsen dramatische Heldinnen über die Beziehung zum männlichen Gegenpart hinaus. Sie opfern viel, teilweise auch die Loyalität zum Weggefährten. Nicht nur deshalb sollte man Claire im Auge behalten. Vielleicht wurde die eigentliche Hauptfigur der Serie bisher einfach noch nicht richtig identifiziert.
Foto: MARRAKCHI. Deviant Art. CC 3.0
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Ich finde es einerseits klischeehaft, Alpha- Frauen lobzupreisen, die als Heldin dann gefeiert werden, wenn sie (schlechtes) männliches Alpha- Verhalten kopieren.
Doch andererseits ist es doch genau das, worum es bei der Gleichberechtigung geht: gleiches Recht für Alle. Auch ein Recht auf Arschloch- sein.
Das meine ich ganz ernst. Denn damit ist es noch nicht so weit her.
Noch immer wird die Welt (auch die weibliche) von der Vorstellung der guten Frau, der Ausgleichenden, der Empathischen beherrscht und jede Frau, die sich anders, zB machtorientiert oder bestimmend verhält, als asozial, narzisstisch gestört oder sozial inkompetent bezeichnet. Insoweit sollte hier erstmal Gleichheit geschaffen werden. Solange wir Frauen das Recht verweigern, sich genauso „böse“ wie Männer zu verhalten, kommen wir in Sachen Gleichberechtigung nicht weiter, verharren in Stereotypen. Dann heißt es in meetings weiterhin „die Zicke“, nur, weil die Kollegin vielleicht vehement ihren Standpunkt verteidigt und widersprochen hat. Wenn Frauen bestimmen, ist von Matriarchat die Rede, wenn Männer es tun, nicht.
In einem zeitgleichen Schritt sollten Männer sich social skills aneignen und anwenden dürfen, ohne deswegen für weniger männlich gehalten zu werden.
Auch da hakt es nach wie vor erheblich, auch da ist Gleichberechtigung vonnöten.
Das Besondere an Claire Underwood ist das in vermeintliche weibliche Zurückhaltung und Unterordnung verkleidete Gattinenpaket:
sie ist diese Zweckehe eingegangen, in der Erwartung, dort springe auch für sie Macht heraus, solange sie ihren Francis entsprechend unterstützt. Sie stellt sich zu seinen Gunst zurück, lässt sich demütigen und kleinhalten, pflegt ihn- immer in seinem vermeintlichen Interesse, in Wirklichkeit geht es ihr die ganze Zeit um sich. Als die Rechnung nicht aufgeht, kämpft sie: das finde ich logisch und legitim- als Juristin würde ich sagen: Wegfall der Geschäftsgrundlage, sie ist frei und kann weiterstrampeln, wie es ihr behagt. Vor allem begibt sie sich nicht in die Opferrolle, wonach es zunächst aussieht, was aber falsch interpretiert ist, denn sie macht nur noch ein Weilchen mit, solange, bis sie erkennt, dass wirklich nichts für sie herausspringt als eine alberne first lady Rolle. Das ist äußerst machtorientiert und genauso legitim wie das machtorientierte Verhalten ihres Gatten. Dass Beide dabei über Leichen gehen, ist moralisch und juristisch angreifbar, aber das steht auf einem anderen Blatt.
In emotionaler Hinsicht ist es interessant, wie man durch die Serie manipuliert wird. Es handelt sich bei Beiden um keine wirklich sympathischen Menschen (obwohl sympathische nano- Momente anklingen, etwa, als er ihr ein Foto vom Mantra schenkt), noch dazu um Verbrecher, gleichwohl empfand ich es als verstörend, fast niederschlagend, zu sehen, wie ihre Ehe den Bach runtergeht. Man wird emotional auf die Seite von Claire gezogen, obwohl sie wenig sympathisches tut. Vielleicht, weil sie so rätselhaft bleibt. Anders als zB Alexis aus dem Denver Cklan trägt sie ihre Absichten nicht offen vor sich her, sodass Spielraum für Spekulationen bleibt., es könnte doch noch etwas Guts in ihr stecken.
Was für spannende Gedanken, danke dir. Fast ein eigener Blogpost 😉
Nun gut, wenn DU das sagst, dann werde ich bei der nächsten Gattendienstreise reinschauen :-D
Und in Wirklichkeit will ich ständig Serien sehen, die Elizabeth Bennet und Fitzwilliam Darcy in Variationen und unterschiedlichen Situationen zeigen: scharfzüngig, vorschnell, einsichtig, hilfreich, arrogant, zugänglich, peinlich, romantisch, prinzipientreu und ehrlich. Egal ob im Weltraum, in der Steinzeit oder im Bundestag. :-D (Auf Teichszenen kann ich verzichten …)
Das verstehe ich gut. Dann vielleicht North & South nach Elizabeth Gaskell (gibt’s glaube ich auch auf Netflix.)
Ich bin jetzt zwiegespalten: gesehen habe ich die Serie nicht, weil mir schon die Trailer auf sky nicht gefiele – mir reichen die Nachrichten, wenn ich unsympathische Menschen um mich haben will. Wobei ich Mad Men gesehen habe und wirklich nett ist da auch keiner. Weshalb ich bei Wiederholungen einer Folge sofort abschaltete, dann fiel es nämlich sehr auf.
Aber um irgendeine Serie geht es ja wohl nur beiläufig, oder? Sondern um die unterschiedliche Darstellung von Männern und Frauen und von dem unerhörten Verhalten dieser Claire. Nehme ich an. So neu finde ich das, was du schilderst, allerdings nicht, sondern es kommt mir sehr bekannt vor. Aus vielen Filmen der Vierziger, vor allem der amerikanischen Thriller. Frauen waren dort sehr gerne genauso: kalt, ehrgeizig, über Leichen gehend, allerdings am Ende auch gerne tot. Und der Hintergrund war die der enorme Frauenhaß der Zeit und der Ortes. Und so frage ich mich, was die Faszination für Claire ausmacht? Ist es eine positive Entwicklung, dass wir uns nun auch über weibliche Miststücke freuen sollen, so wie wir männliche Miststücke als Alphatierchen wahrnehmen sollten? Was ja für viele funktioniert hatte: nachdem Michael Douglas einen Megawiderling mit viel Geld spielte, waren mehr junge Männer auf der Suche nach einem Brokerjob – unsere Welt hat das kein bißchen besser gemacht.
Ich sage es ja nicht gerne, aber ich habe einmal in meinem Leben eine sehr unangenehme Chefin gehabt, die auch sonntags um die Mittagszeit selbstverständlich meine Aufmerksamkeit erwartete – jeder andere um sie herum war absolut unwichtig. Keine erstrebenswerte Entwicklung. Irgendwie kommt es mir so vor, als würden solche Serien „männliche“ Verhaltensmuster als die einzig richtigen zementieren. Aber irgendwie lese ich da jetzt viel zu viel herein :-D Dennoch würde ich lieber Bilder sehen von Menschen beiderlei Geschlechts, die beides sein können: tough und sensibel. DAS wäre doch wirklich mal neu.
Die Serie lohnt sich und mit dem Rest hast du einen Punkt getroffen. Das wäre wirklich etwas Neues & ich würde das auch gern sehen. :-)