Als britischer Royal ist das Leben vermutlich eher so gähn. Ständig muss man irgendwo auftauchen, Bänder durchschneiden & Hände schütteln. Dabei weiß man nie, was man anziehen soll. Ein neues Outfit suggeriert Verschwendungssucht oder Modebewusstsein, ein bereits getragenes Nachlässig- oder Sparsamkeit. Am Ende geht es sowieso nur um die Fotos. Und vielleicht noch um ein paar private Worte, die sich gut in bunten Blättern machen. So geschehen in der letzten Woche bei unserem Lieblingsvorzeigeehepaar William & Kate.
Beim Besuch einer Selbsthilfegruppe für Suizidgefährdete wurden sie ganz themenkonform nach dem Befinden des Nachwuchses befragt. George, so Kate, sei der „lautstarke, große Bruder“, ein „Wirbelwind.“ Auch wenn man es beim stets wohlfrisierten, pullundertragenden Kleinkind nicht auf den ersten Blick vermuten mag, so überrascht mich diese Aussage kein bisschen. Wir reden hier schließlich von einem 2jährigen. Jeder, der in seinem Leben bereits einem 2jährigen begegnet ist, wird bestätigen, dass lebendig es ganz gut trifft. Vermutlich müssen im Kensington Palast ganze Heerscharen von Dienern die goldenen Teller und Spitzentischdecken vor ihm in Sicherheit bringen. Unter Umständen fand sich auch schon auf der ein oder anderen Louis IX. – Ledertapete ein Buntstiftkringel. Just like us.
Das gilt übrigens alles auch für 2jährige Mädchen. Was die BUNTE trotzdem nicht davon abhält, aus dem Geschwisterpaar Genderstereotype auf zwei Beinen zu machen. Ein weiteres Indiz für Georges Männlichkeit und seine „quirlige“ Art sei zum Beispiel, dass man ihn oft auf Spielplätzen antreffe. Bei seiner Schwester hingegen ist man gespannt, ob man diese in Zukunft auch im Sandkasten findet oder sie „es lieber vorzieht, sich nicht schmutzig zu machen.“ Charlotte ist – zur Erinnerung – knapp sechs Monate. Sie wurde von Papa William vor einiger Zeit tatsächlich als lady-like beschrieben, was BUNTE als Beweisstück C anführt.
Lady-like als Begrifflichkeit für 25jährige zu definieren, würde mir bereits schwerfallen, bei sechs Monate alten Babies halte ich es sogar für unmöglich. Denn was immer man sich darunter vorstellen könnte, hat vermutlich wenig damit zu tun, sein großes Geschäft in seiner Hose zu verrichten, während man sich pürierte Karotten ins Gesicht schmiert. Mit sechs Monaten hat man als Eltern eine Menge Rumgesabbere & Gepupse um sich, was weder Prinz William noch den BUNTE-Redakteuren präsent zu sein scheint. Schwerlich lässt sich hieraus ein Charakter ableiten, man freut sich im Artikel trotzdem über die ungleichen Charaktere der Geschwister.
George interessiert sich übrigens auch noch für die Natur, Hubschrauber und Traktoren. Wobei seine Mutter leider von letzterem keine Ahnung hat und nur wenige seiner Fragen beantworten kann. Die studierte Kunstwissenschaftlerin ist also leider nicht in der Lage, das Internet zu bedienen. Vermutlich wäre das nicht lady-like. Charlotte hingegen, das weiß man schon heute, wird sich bei den Pfadfindern vermutlich nicht wohlfühlen, denn die „süße Mini-Kate“ ist nunmal die „geborene Prinzessin“.
Diese kleine Anekdote der Boulevardberichterstattung mag unbedeutend klingen, zeigt uns aber eine ganze Menge darüber, wie wir Babies und Kleinkinder wie selbstverständlich in die Rosa-Hellblau-Boxen stecken. Charlotte verhält sich wie ein sechs Monate altes Kind und George wie ein 2jähriger. Sie tun Kinderdinge, lustig-interessante und gefährliche Dinge. Sie tun keine Mädchen- und Jugendinge. Es gibt keine kausale Entwicklungskette, die sie irgendwann als Erwachsene bei Hubschrauberpilot und Prinzessin landen lässt. Charlotte verhält sich mit großer Wahrscheinlichkeit sogar ziemlich genau so wie ihr Bruder im gleichem Alter. Dass ihre Eltern sie in der Beschreibung als Gegensätze anlegen & BUNTE auf den Zug aufspringt, zeigt nicht, dass ein Baby mit einem halben Jahr sich bereits wie eine Prinzession verhalten kann. Es zeigt nur, dass wir als Erwachsene die Stereotype so tief verinnerlicht haben, dass wir sie beim kleinsten Anlass dankbar reproduzieren & vielleicht sogar ein bisschen als Indiz einer gelungenen Erziehung von Anfang an werten.
Wenn Prinz William von seiner 2jährigen Tochter einmal keine Fragen zu seinem Hubschrauber gestellt bekommt, liegt es vermutlich weniger daran, dass Charlotte ein Mädchen ist, sondern eher daran, dass Papa diese Fragen nie von seiner Tochter erwartet hat. Genauso wie die BUNTE jedes Schleifchenfoto als passenderes Covermaterial empfinden wird, als ein eingematschtes Sandkastenkind. Und das ist der Teil, der nicht mehr süß ist. Oder unbedeutend. Sondern nur noch ein bisschen traurig.
Foto: flickr – hishersmine – CC by 2.0
Sehr schön analysiert :-)
Och, ich würde schon sagen, dass mein 5 Monate alter Sohn einen eigenen Charakter hat und ein bisschen fällt mir dazu „typisch Junge“ ein. Was natürlich nicht heißt, dass das so bleibt. Wenn er mit zwei lieber mit Puppen spielen will als Fragen zu Traktoren zu stellen, dann ist das auch okay. Hoffentlich sehen William und Kate das auch so. Bei den Klatschmagazinen ist ja sowieso jeder Breifleck eine Entwicklungsstörung…