Gestern war in der Times zu lesen: „Die Sun hat etwas an, Seite 3 bedeckt sich nach 45 Jahren.“ Ein Erfolg für die britische Kampagne No More Page 3, die vor zwei Jahren angetreten war, die nackten Mädchen aus der größten Boulevardzeitung der Insel zu verbannen. Die große Zahl an Unterstützern & eine breite Medienberichterstattung sorgte dafür, dass bereits Ende letzen Jahres spekuliert wurde, die Sun werde ihre tägliche Nackte in Kürze kommentarlos auslaufen lassen. (Rupert Murdoch, Besitzer der Tageszeitung, hatte selbst vor einer Weile einer Mutter auf Twitter geantwortet, dass er ein Ende erwäge.)
Das bringt auch der deutschen Schwesternkampagne (#BILDSexism, @StopBILDSexism), die Ende letzten Jahres in Deutschland mit einer Petition auf change.org startete, erneute Aufmerksamkeit. Auch wir haben ein BILD-Girl mit nackten Brüsten, wenn auch nicht auf Seite 3 oder 1 (Vielleicht erinnert sich noch jemand an die peinliche Frauentagsaktion 2012.) Im Gegensatz zu Verlagsmitarbeitern der Sun oder Rupert Murdoch selbst, die sich bis auf obigen Tweet nicht äußerten, ist Kai-ich-habe-Social-Media-im-Blut-Diekmann bereits seit Kampagnenstart im Twitterdialog mit der Initiatorin. Da bittet er sie, in gewohnter Medienmogul-Selbstwahrnehmung mit paternalistischem Altherrencharme, mal den Link zur Anmeldung als nächste Nackte zu verbreiten, mal verweist er auf den Beitrag So traumhaft war mein Tag als BILD-Girl (alles auf dem Kampagnen-Blog nachzulesen).
Auf der Insel gratulierte gestern der feministische Blog thevagenda: „Jetzt können wir unseren Töchtern erzählen: Du wirst es nicht glauben, aber wir hatten mal nackte Brüste in der Zeitung.“ Man muss ehrlicher weise sagen, es ist ein Erfolg im Sinne der ursprünglichen Petition. Die Brüste sind nicht mehr nackt. Dafür hat die Frau jetzt einen Bikini an. Die Rubrik gibt es weiterhin. Da trübt sich der Erfolg natürlich etwas ein. Ich hatte am Anfang auch ziemliche Probleme mit der No More Page 3 – Kampagne. Der Text der englischen Petition richtete sich ziemlich isoliert gegen nackte Brüste. Und mutete damit für mich ziemlich amerikanisch-puritanisch an. Ich habe nichts gegen Brüste. Im Gegenteil, vielleicht brauchen wir sogar noch mehr Brüste? Überall, in allen Formen & Farben. Und nicht nur die silikongefüllte Einheitsgröße überall. Außerdem, als ob die Brüste das Problem wären, dachte ich. Sexismus & sexualisierte Darstellungen sind doch überall. Den Anfangsslogan Brüste sind keine Nachrichten fand ich lächerlich. Nachrichten & die Sun oder BILD in einem Kontext, haha. Die richtige Forderung wäre nicht das Ende der nackten Brüste oder die Abschaffung der Seite 3 (oder Seite-wo-auch-immer in der jetzigen BILD) sondern die zusätzliche Abschaffung der Seiten 1-2 & 4-25. Und die ganze andere Klatschpresse gleich dazu. Das Ende einer Seite wäre nicht das Ende der Objektifizierung von Frauen. Die nackten Brüste sind nur ein Symptom. Was ich da gemacht habe, ist klar. Feministinnen möchten gern gleich alles auf einmal. Feministische Bewegungen sollen immer von Anfang an alles richtig machen & alles wissen. Sie müssen immer das große Ganze im Blick haben, keinen ausgrenzen & keine falschen Wörter benutzen. Die Feministinnen in den Bewegungen werden auch schnell unruhig, wenn andere es einfach nicht verstehen wollen (und dann vielleicht noch Frauen sind)!
In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Kampagne in Großbritannien entwickelt. Wobei auch das wahrscheinlich falsch ist. Man kann den Initiatorinnen sicher nicht vorwerfen, dass sie dachten, mit dem Seite 3 Mädchen alle Probleme wegwischen zu können. Das Ganze war ein Einfallstor. Mit zunehmender Popularität konnte in größerem Rahmen diskutiert werden. Ihre deutsche Schwester hat von ihr gelernt & formuliert ihr Anliegen gleich breiter:
Im Vordergrund der Außenwahrnehmung steht natürlich das BILD-Girl in ihrer Nacktheit. Ich trommle trotzdem gern für die Petition (genauso wie für die Petition von pink stinks gegen sexistische Werbung). Denn natürlich geht es nicht um die nackten Brüste. Aber vordergründig sind sie ein legitimes Mittel.
Es sind eben nicht nur ein paar Brüste. Es ist nicht nur ein Job, den eine Frau sogar gern machen kann (Es ist auch keine Kritik an der Person, die ihn ausführt.). Es ist auch völlig egal, ob sich das BILD-Girl bei dem Shooting wohlgefühlt hat oder nicht. (Um es deutlich zu sagen, es wäre ja noch schöner, wenn dem nicht so wäre.) Es ist eine Kritik an etwas, dass uns jeden Tag umgibt. Dass für viele so normal ist, dass sie es gar nicht mehr wahrnehmen. Sexualisierte Darstellungen beeinflussen uns & unsere Umwelt. Sie beeinflussen die Frauen, die sie konsumieren (Wahrnehmung des eigenen Körpers & der eigenen Leistungen außerhalb der eigenen Attraktivität sogar neuronale Effekte). Und selbst wenn einem die Hälfte der Menschheit egal wäre, beeinflusst sie die Gesellschaft, in der wir leben: When large portions of the population are modeling behavior after advertisements, reality television and, in some cases, soft-core pornography it becomes a force that changes society as a whole, which, if the change is proven detrimental or damaging, is where a cause for concern grows. Deswegen brauchen wir Aufmerksamkeit. Die schafft im besten Fall Bewusstsein & organisiert Veränderung.
Kai Diekmann kündigte für heute übrigens eine Reaktion auf einer ganzen Seite an. Hier ist sie.
.@KaiDiekmann Erfolg gg Sexismus in UK & Sie zeigen Dtld was Sie an Frauen schätzen: Brüste. Peinlich & erbärmlich! pic.twitter.com/wz8nHaXAWn
— Kris Tina (@Kristina_Lunz) 21. Januar 2015
Es gebe kaum ein besseres Beispiel, um zu betonen. Es geht nicht nur um die eine Rubrik mit BILD-Girl. Aber diese eine Rubrik kann ein Anfang sein. Auch ein Blick auf die Social Media Accounts zeigt: Wenn das Verpacken von Brüsten in knappe Oberteile diese Negativität triggert, dann kann es so eine Nichtigkeit gar nicht sein, wie die Kritiker uns weis machen wollen. Dann kann es um so wenig gar nicht gehen.
Update: Nach einem brustlosen Tag sind die Nackten in der SUN zurück. Man entschuldigt sich auch bei allen Journalisten, die sich in den vergangenen zwei Tagen Gedanken zur Abschaffung gemacht haben. Was ist das? Soll jetzt jeder jeden Tag die Zeitung kaufen, um nachzuschauen, ob die Nippel noch da sind? …. Während also die SUN ihren eigenen viktorianischen Forsetzungsroman produziert, macht No More Page 3 natürlich weiter.
„Außerdem, als ob die Brüste das Problem wären, dachte ich. “
agree.