Allerspätestens mit den ersten Sonnenstrahlen war klar, dass der Kartonfriedhof auf dem Balkon verschwinden musste. Wir haben einen ziemlich ansehnlichen Balkon ordentlicher Größe, aber das Papier hatte ihn fast verschwinden lassen. Alles begann mit den vor Weihnachten eintreffenden Paketen diverser Versandhändler. Es war draußen so kalt und so ungemütlich und irgendwie schlief das Baby immer oder hatte schlechte Laune oder ich hatte gar keine Lust, es in 25 Schichten Jacken zu hüllen, um das bisschen Papier loszuwerden. Das bisschen Papier wurde allerdings recht schnell größer und bald war es so groß, dass es sowieso nicht mehr mit nur einem schnellen Gang zur Papiertonne hätte weggebracht werden können. Der anwachsende Haufen, inzwischen um diverses Weihnachtsgeschenkapier und noch mehr Karton ergänzt, wuchs und wuchs und störte mich durchaus. Aber draußen war es ja, wie es sich für einen ordentlichen Berliner Winter gehört, meistens sowieso grau, so dass ich die Vorhänge, die sonst nur für die Abendstunden vorgesehen waren, einfach virtuos so vor die Tür zum Balkon zog, dass ich den Kartonhaufen bei meinen natürlichen Laufwegen durch die Wohnung kaum noch bemerkte.
Das Ganze wurde so mit den Wochen immer weniger zu einer Quelle des schlechten Gewissens und mehr und mehr zu einer ganz angenehmen Lösung. Ich schob die Balkontür einfach nur kurz auf und warf das Papier zielsicher der kalten Luft entgegen. Selbst Zeitungen musste ich nicht mehr herunterbringen. Genial.
Bis wir den Balkon wieder benutzen wollten. Als sich das Ausmaß des Altpapierstaus in den ersten Strahlen des hellen Frühlingslichtes offenbarte, verließ mich zunächst der Mut. Dann überlegte ich kurz, ob sich aus den eingeweichten und von Herbstlaub durchsetzten Kartons vielleicht nicht doch noch sommerliche Spielhäuser bauen lassen würden (und ich es so noch bis Mai hätte stehen lassen können). Und dann sah ich meinem Schicksal ins Auge. Wie mit allem Aufräumen, bestätigte sich auch hier wieder die These „Das Meckern über die Aufgabe dauert oft länger als das Aufräumen selbst.“ Das ist ja auch so eine Sache, die wir gern unseren Kindern erzählen und selbst nicht beherzigen.
Vielleicht kam mein aufkeimender Enthusiasmus aber auch daher, dass ich kurz vor der Aktion ein Interview mit einer international renomiereten Aufräumexpertin gelesen hatte, die mir einen neuen Menschen versprach, wenn ich mich endlich an meine Altlasten machte. Und als die Karton schließlich kleingedrückt im Auto verstaut waren, stellte sich tatsächlich das versprochene karthasische Gefühl ein. Der Blick auf den leeren Balkon, der nun noch größer wirkte, ließ mein Herz hüpften und machte mir gute Laune. Mehr noch, überlegte ich, das hier würde ja nachhaltig gute Laune sein. Anders als bei einer aufgeräumten Küche, die immer nur zirka 20 Sekunden in diesem Stadium verharrt, würde ich den Balkon nun eine ganze Weile papierlos vor Augen haben.
Jetzt nur noch kurz die Sachen zum Recyclinghof fahren und fertig! Auf dem Weg dorthin plante ich bereits ein wenig mein neues, aufgeräumtes Leben und das gute Gefühl wuchs und wuchs. So lange hatte das gar nicht gedauert und wie viele Stellen in der Wohnung brauchten nicht noch eine ordende Hand – mal wieder Klamotten aussortieren, die Küchenschubladen und erst das Kinderzimmer, oh mein Gott, das Kinderzimmer. Sachen zusammenräumen und weg damit. Die Aufräumexpertin hatte recht, schon der Gedanke daran war super! Das Schönste an dem warmen Gefühl im Bauch war tatsächlich dieses einfache „Weg damit.“ Einmal aussortiert und weggebracht und alles wäre gut.
Bis auf die Tatsache, dass gar nichts mehr gut war, als ich auf den Recyclinghof fuhr. Auf maximale Vorfreude gepolt, mein Papier nun einfach auf Nimmerwiedersehen loszuwerden, wurde mir leider eines klar, als ich in den endlosen Container blickte, der da vor mir stand. Und auf die Straße aus Containern neben ihm, in die sich aus einer nicht enden wollenden Autoschlange Wegzuschmeißendes in ihr Inneres ergoß.
Für gute Laune war hier kein Platz, zu Hause mochte ich es jetzt ordentlicher haben. Aber ein Grund zu Freude war das eigentlich nicht. Meine Kartons hatten sich ja nicht verflüchtigt, als sie meinen Balkon verließen. Ich lud sie einfach nur hier ab. Und wenn ich auch in Zukunft vorhatte, mein Leben nicht nur auf meinen entleerten Balkon zu verbringen, sollte ich wohl von nun an mehr darüber nachdenken, wo die Dinge eigentlich herkommen, die ich wegschmeiße. Und wo sie hingehen.
Foto: flickr – D Coetzee – CC by 2.0
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Das Beste: ein „ich muss noch …“ ist weg.
Ich mag deinen Blick auf Kleinigkeiten so gern.
❤️
Das Gefühl nach dem Aufräumen kenne ich gut. Das zweite Gefühl weiß man eigentlich, oder? Wird einem eben nur nicht immer bewusst.
Genau.