Morgen ist Weltvorlesetag. Geschichten und Bücher begleiten mich seit ich denken kann. Meine Eltern hatten keine Bücherwände bis unter die Decke, aber sie haben immer vorgelesen. Jeden Abend hat mir mein Vater eine selbsterdachte Geschichte erzählt. Noch heute ist meine Mutter traurig, dass sie diese nicht aufgeschrieben hat. Ich verdanke meinen Eltern unglaublich viel & bin überzeugt davon, dass dies mich prägte. Mich & meine Liebe zu Sprache, Worten & Büchern.
Als ich selbst lesen konnte, wurde ich Stammgast in der örtlichen Bücherei. Ich kann mich noch gut an die Verwunderung der Bibliothekarin erinnern, weil ich stapelweise Bücher auslieh. Jedes Mal fragte sie mich, ob ich die wirklich alle gelesen hatte. Hatte ich. Ich mochte die klassischen Kinderbücher – Erich Kästner, Astrid Lindgren. Ich habe die ganze Hanni & Nanni-Reihe gelesen. Mein allergrößtes Lieblingsbuch war lange Zeit Lippels Traum. Von einem Jungen, der wahnsinnig viel liest & jede Nacht eine Geschichte weiter träumt. Wahrscheinlich fühlte ich mich hier verstanden. Noch heute zählen lesen & schlafen zu meinen größten Hobbys.
Ich kann mich nicht daran erinnern, in der Schule besondere Erweckungserlebnisse, was das Lesen betrifft, gehabt zu haben. Das ist sicher nicht untypisch. Viele sagen, dass ihnen die Klassiker in der Schule eher verleidet wurden. Kann man nur hoffen, dass die Meisten einen zweiten Anlauf wagen. Manche Bücher brauchen ihre Zeit. Beim Zauberberg brauchte ich mehrere Anläufe für die Liebe. Erst beim dritten Mahl (1x unter Zwang in der Schule & 2x freiwillig) las ich ihn mit Vergnügen zu Ende.
Manche Bücher brauchen eben Zeit. Und Muße, sich auf sie einzulassen. Den Lesegenuss hat mir fast mein Literaturstudium ausgetrieben. Mit Zeit & Muße war nicht viel. In Großbritannien ist es üblich, dass man sich im ersten Studienjahr einmal durch den Kanon fräst. Das kann gut und gerne zwei Dickens pro Woche bedeuten. Das hat nicht nur Nachteile, man bekommt einen super Überblick. Aber ich muss noch heute Handlungen googeln, weil nicht viel hängen geblieben ist. Man lernt das Querlesen, das Überblättern & verliert ein wenig den Zugang zur Schönheit der Worte. Meine Doktorarbeit hat das nicht besser gemacht. Jahre lang stapelte sich die ganze schöne Belletristik, die ich einmal lesen will, wenn ich fertig bin, in meiner Wohnung. Als ich Frau Doktor war & mich auf die Bücher stürzte, musste ich feststellen, dass ich ständig automatisch anfing querzulesen. Um möglichst schnell einen Überblick zu bekommen, die Hand zuckend Richtung Textmarker.
Mit der Zeit & der Gewissheit zweckfrei lesen zu dürfen, ist die Freude zurückgekehrt. Ich kann mich wieder ganz auf Bücher einlassen. Nun fehlt ein bisschen die Zeit. Was mich zum Vorlesen bringt.
Trotz meiner Liebe zu Büchern & der Tatsache, dass mein Kind nach einer Romanfigur benannt ist, habe ich nie darüber nachgedacht, wie ich sie an Bücher heranführe. Das musste ich auch nicht. Kleine Kinder haben feine Antennen dafür, wenn man ihnen etwas verkaufen will, was man selbst nicht tut. Und orientieren sich genauso gern an den Dingen, die die Großen machen.
Seit es nach Büchern greifen kann, möchte das Kind in ihnen blättern. Dann kam das Vorlesen, was ich zunächst als sehr schwierig empfand. Ich hatte Probleme der Handlung zu folgen, wenn ich vorlese, wenn ich betone & mich auf die Wirkung konzentriere. Mit einem Kind entdeckt man Kindergeschichten neu. Das ist das Tolle. Da wollte ich nichts verpassen.
Manche Geschichte der eigenen Kindheit erscheint aber auf einmal in einem anderen Licht. Ich bin die Meisterin der Neuformulierung während des Vorlesens. Besonders Märchen sind meine Opfer. Wenn die Eltern von Hänsel & Gretel sie nicht wegschicken, weil sie kein Essen haben, sondern weil die Milch fehlt, hört man nicht einmal ein Zögern. Ich trage das ganz flüssig vor. Das ist nicht schlecht, dann gibt es in ein paar Jahren zwei Versionen. Jedes Märchen doppelt. Mindestens.
Während ich diesen Text schreibe & darüber nachdenke, was ich weitergeben möchte, fasse ich den Vorsatz, dass das Kind Bibliotheken richtig kennen lernen soll. Bisher werden bereits Buchläden sehr gemocht. Wahrscheinlich wird dies ein einsamer Wunsch bleiben, denn ich besitze nicht mal mehr einen Leihausweis, sondern kaufe Bücher eher. Und wenn man etwas nicht vorlebt…
Ich möchte, dass das Kind Bücher kennen lernt & schätzt. Mit etwas Glück wird es sie lieben. Zu schnell muss es aber gar nicht lesen lernen. Denn Vorlesen ist wunderbar. Vorgelesen zu bekommen ist der Wunsch nach Geschichten. Aber auch der Wunsch nach Gemeinsamkeiten & der Wunsch nach Nähe. Wer kuschelt sich beim Vorlesen nicht eng zusammen oder unter eine Decke? Ich glaube, auch deshalb lieben Kinder es so sehr. Und deshalb wünsche ich ganz vielen von ihnen, dass sie heute etwas vorgelesen bekommen.
Foto: flickr.com
Hach ja Bücher. Ich liebe sie ebenfalls heiß und innig. Leider teilt mein Kind sie zur Zeit nicht, weil lesen anstrengend ist. (Früher haben wir beide gern auf der Couch gesessen, jeder in sein Buch/Bilderbuch/Comic vertieft)
Vielleicht kommt das ja noch wieder, ich würde es mir sehr wünschen
Meines ist ja noch ziemlich klein, ich hoffe noch auf ein paar Jahre des Vorlesens. Ich habe auch schöne Erinnerungen an „Nebeneinanderlesen“ (also jeder ein anderes Buch aber im gleichen Raum), als ich dann älter war.
Würde gerne ausführlich antworten, muss aber jetzt ein Buch zum Vorlesen suchen – das habe ich dieses Jahr wieder eingeführt.
Gerade eben durch ist Hexen hexen und bah, was ist das gemein und gruselig gewesen :-)
Da kenne ich bisher nur den Film, der ist auch schon ganz schön gruselig.