Als ich das letzte Mal im Buchladen war, habe ich mit Freude festgestellt, dass Jennifer Seniors Buch über das Elterndasein inzwischen auch auf deutsch erschienen ist. Im Englischen heißt es All Joy & No Fun & ich habe es Anfang des Jahres sehr gern gelesen. Das Thema Vereinbarkeit & Hilfen oder Nicht-Hilfen für Eltern (meistens thematischer Schwerpunkt Mütter), ist ja gerade in aller Munde. Gerade erschienen von zwei deutschen Journalistinnen ist Die Alles ist möglich – Lüge (was ich gerade lese) & Vater, Mutter, Staat von Rainer Stadler (in das ich durch den Vorabdruck im freitag ein bisschen hinein lesen konnte).
Jennifer Senior ist ebenfalls Journalistin & Mutter & stellte sich die Frage, die sich wahrscheinlich viele schon gestellt haben. Man kann sie schön am englischen Titel ablesen:
Wenn Kinder angeblich ein Quell der Freude sind (und tatsächlich auch viel Freude machen), warum macht Elternsein in unserer modernen Welt dann eigentlich so wenig Spaß & ist oft nur unglaublich anstrengend?
Dafür hat sie recherchiert, mit Sozialwissenschaftlern gesprochen & viele Interviews in Mütter & Elterngruppen geführt. Einige der Familien begleitet sie auch nach Hause & beobachtet ihren Alltag. Ihre Erkenntnisse sind somit größtenteils auf die USA bezogen, lassen sich aber problemlos auf westliche Industrienationen übertragen.
Am meisten hat mich ihre Perspektive fasziniert, die von den gängigen Artikeln zum Thema abweicht. Ansonsten wird oft mit den Umgebungsfaktoren begonnen: Betreuungssituation, Jobflexibilität oder das Teilen der Hausarbeit. Dann wird analysiert, wie diese auf das Elterndasein wirken.
Jennifer Senior kommt von der anderen Seite. Sie fragt: Hat sich vielleicht das Elternsein an sich verändert?
In der Folge fächert sie eine ganze Palette von Veränderungen auf & ihre Antwort lässt sich verkürzt so wiedergeben: Unsere Ansprüche an das Elternsein haben sich fundamental geändert. Während bis in die 70er Jahre hinein an vorderster Stelle stand, sein Kind – überspitzt gesagt – sauber & satt zu halten & dann ordentlich erzogen in die Welt zu entlassen, haben wir heute das Elterndasein emotional aufgeladen. Wir fühlen uns hauptsächlich verantwortlich für das GLÜCK unserer Kinder. Mehr noch, wir fühlen uns verantwortlich für ihr Lebensglück. Glück als Erziehungsziel ist aber nicht nur eine sehr schwammige Kategorie, sondern auch eine, die Eltern sehr, sehr müde machen kann. Weil man immer noch ein bisschen mehr tun kann. Und irgendwie zum Scheitern verdammt ist.
Nun sind die modernen Eltern natürlich nicht blöder als die vorangegangenen Generationen. Das neue Erziehungsziel ist eine Reaktion in Gesellschaften, in denen man eben nicht mehr sicher sein kann, dass das Kind satt, mit Manieren & Ausbildung seinen Weg schon machen wird. Gerade die Mittelschicht ist hier besonders belastet mit dem Es geht immer noch mehr – Gedanken. (Hallo, chinesische Früherziehung).
Für mich war dies ein neuer Aspekt & eine sehr heilsame Erkenntnis. Mal ehrlich, wer hat sich nicht schonmal gefragt, ob man nicht irgendwas falsch macht? Man hat all die wunderbaren Geräte, die die Hausarbeit schneller machen, die Putzfrau, den helfenden Mann, Teilzeit & einen Tag Homeoffice die Woche & trotzdem fühlt man sich wie der Hamster im Rad, der nie ankommt & dem Kind nie richtig gerecht werden kann. Jennifer Senior untermauert ihre These in vielen spannenden Kapiteln. Die 50er-Jahre Hausfrau zum Beispiel, die ihre Kinder allein zu Hause betreute, spielte, auf den Tagesdurchschnitt gerechnet, weniger Stunden mit ihren Kindern, als die berufstätige Frau von heute.
Natürlich ist das kein Plädoyer für eine Rückkehr zu alten Erziehungsmustern, die auch mit Schattenseiten einhergingen.
Und auch kein Freibrief, nicht mehr an den Rahmenbedingungen (Betreuungssituation, Jobflexibilität & Rollenbilder) zu arbeiten. Denn die emotionale Last, zum Glück zu erziehen trifft Mütter beispielsweise ungleich stärker als Väter. Insofern darf man in dem Buch keine Lösungen à la „Hier mehr Kitaplätze & da mehr geteilte Führungspositionen & dann wird das schon“ erwarten. Aber es macht ein bisschen weniger schlechtes Gewissen. Und es ist, trotz der Flut an Studien & Informationen, nicht langweilig. Alles in allem, ein lesenswerter Puzzlestein in der Antwort auf die Frage, warum Mütter & Väter heute an der Freude des Elternseins oft so wenig Spaß haben.
Wer Lust aufs Lesen hat, ab in die Buchhandlung. Wer lieber im Internet bleibt, kann sich den sehr sehenswerten TED talk der Autorin ansehen (auch mit Untertiteln).
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