Für einen der letzten Posts trieb ich mich eine Weile im Instagram-Essensbilder-Universum herum und stieß auf einen Hashtag, der mir vorher noch nicht begegnet war: #edrecovery (eating disorder recovery – also etwa „von der Essstörung gesunden“). Noch eine Online-Community zum Thema Körper und Essen – aber ohne pedantische Fitnesstracker und Minivideos zu wahnsinnig effektiven Übungen. Hier postet eine immer größere werdende Anzahl von zum größten Teil jungen Mädchen um ihre Essstörung zu thematisieren…und zu bewältigen. Ich kannte die Berichterstattung über Pro-Ana Foren, What’s App-Gruppen und Blogs, die sich zum gemeinsamen Hungern motivieren, Anorexie als Freundin Ana beschreiben und ihr mit dem Slogan „It’s not a diet, it’s lifestyle.“ den Status als Krankheit absprechen. Neue Accounts wie nourishandeat (45.000 Follower) sind der Versuch, ein Netzwerk der Unterstützung bei der Bewältigung einer Essstörungen zu bieten. Eine immer währende, freundliche Erinnerung, dass die Pflege und Wertschätzung des eigenen Körpers wichtiger ist als die Fixierung auf seine Form und Größe. Dominiert wird der Hashtag deutlich von Essensfotos, die sich auf den ersten Blick nicht wirklich von anderen unterscheiden. Und doch sind es große Schritte für die Betroffenen.
Nichtbetroffenen zeigen sie eindringlich das Diabolische der Krankheit, wenn eher kleine Mengen als „massive meals“ (riesige Mahlzeiten) beschrieben werden und man die genaue Anzahl jedes gegessenen Details listet.
Es ist genau diese Konzentration auf das Essen, die von Experten kritisiert wird. Eine erfolgreiche Bewältigung einer Essstörung beinhaltet gerade, den Fokus vom Essen weg zu lenken, nicht jede Mahlzeit zu überdenken und zu bewerten. So positiv es sein mag, wenn Betroffene sich untereinander zum Essen anspornen, so ist der Unterschied zum intensiven Monitoren des eigenen Konsums in der Essstörung eventuell gar nicht so groß, wie im Atlantic angemerkt wird.
Diese Einschätzung mag aus klinischer Perspektive richtig sein. Sicher bedarf jede Essstörung einer angemessenen therapeutischen Begleitung. Und doch tut sie den Foren, die die Accounts bieten, unrecht. Hier finden sich auch sehr persönliche Erfahrungsberichte aus der Therapie.
Sie zeigen nicht nur die größer werdenden Portionen, sondern auch die sich verändernden Körper.
Was Verfasser*innen von Artikeln zum Thema (u.a. auch Buzzfeed, Huffington Post) zu irritieren scheint, ist die besondere Ästhetik und Herangehensweise der Accounts. Hier schaffen sich weibliche Teenager einen eigenen Kanal mit eigener Bildsprache, die bekannte Aspekte miteinschließt. In ihrem Posing, in ihren Aufnahmewinkeln rezipieren sie die Ästhetik bekannter Fitness- und Lifestyleaccounts. Eine Welt, die zur Gesundung doch eigentlich abgelehnt werden müsste. Und doch ist sie Teil der alltäglichen Umgebung einer Generation, die große Aspekte ihres Lebens online dokumentiert. Sie sich nach den eigenen Regeln zu eigen zu machen kann nicht die schlechteste Herangehensweise sein.
Dies mag den außenstehenden Betrachter genauso befremden wie die Anzahl an Motivationssprüchen, Tierbildchen, Herzchen und Emoji. Man stolpert ebenso über die allgegenwärtigen verniedlichenden Abkürzungen für Lebensmittel. Abgesehen davon, dass dies eine Möglichkeit sein kann, ihnen ihren ehemaligen Schrecken zu nehmen, so drängt sich ein weiterer Gedanke auf. Diese Accounts nicht als wertvolle Hilfen und Unterstützungssysteme ernst zu nehmen, hat etwas mit ihren Erstellerinnen zu tun.
Es ist in Ordnung, wenn männliche Bodybuilder unendliche Bilderreihen mit Powerriegeln und angespannten Muskeln produzieren. Was junge Mädchen tun, unterliegt aber immer besonderer Beobachtung, insbesondere, wenn es ihren Körper betrifft. Ihre Handlungen sind nicht selten nur Gegenstand eines gutmütigen Lächelns, sie unterliegen dem Vorurteil der Belanglosigkeit. Ihre Äußerungen scheinen immer mehr Ergüsse eines pubertären Herzens als ernstzunehmende Weltsicht. Vielleicht bleiben Mädchen deshalb so gern unter sich und kultivieren ihre eigenen Foren. Vielleicht ist das die große Hilfe zusätzlich zu einer Therapie. Eine Möglichkeit, sich die Deutung der Krankheit wieder anzueignen, Bewertungen von außen – von Ärzten, Psychologen oder der Familie – die eigene Sicht entgegensetzen zu können. Den Accounts Naivität zu unterstellen oder sie zu belächeln greift zu kurz.
Denn in ihrem unerbittlichen Verlangen nach Glück und Gesundheit sind sie nicht peinlich sondern ziemlich heroisch.
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Spannendes Thema! Ich finde es auch wichtig, dass es diese thematischen Räume gibt und das man damit respektvoll umgehen sollte. Die Online-Community ist ein selbstverständlicher Lebensbestandteil dieser Altersgruppe, der viel Halt und Motivation bieten kann. Schön, die positiven Seiten dessen zu sehen, wo in den Medien tendenziell nur die negativen Seiten beleuchtet werden.
Echt interessant, ich wünschte mir manchmal in meiner Jugend (haha, das klingt, als wäre ich uralt), hätte es schon die Möglichkeit gegeben, überall jemanden zu finden, der einen versteht. Es geht ja nicht nur um Essstörungen, ich stelle es mir heute auch leichter vor, Mädchen zu finden, die die gleichen Hobbys haben, den gleichen Musikgeschmack usw. Da sind solche Plattformen schon viel wert.
Ein sehr interessanter Bericht, der diese Community gut beleuchtet. Auch ich bin beim surfen über verschiedene Hashtags schon zu solchen Accounts gelangt, bei denen ich mich dann festgelesen hatte und schließlich Respekt davor hatte, wie offen und ehrlich die Mädchen mit ihrer Krankheit und der Therapie umgehen. Ich denke, dass in so einem jugendlichen Alter so ein Zusammenhalt ganz entscheidend ist bei der Frage, wie eine Krankheit verläuft/verlaufen kann. So wie es die Pro-Ana-Foren und -Gruppen gibt, in denen Jugendliche sich gegenseitig anstacheln, so können sie sich auch bei der Genesung und Therapie durch den Zusammenhalt unterstützen. Jemanden zu belächeln oder nicht ernst zu nehmen ist in diesem Kontext sowieso meist der falsche Weg, unabhängig von Alter, Geschlecht etc.
Die Berichte aus der Therapie gingen mir auch nahe. Da macht das Netz mal, was es soll – vernetzen.