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#5 Spieglein, Spieglein – Schneewittchens verkannte Stiefmutter [NaBloPoMo]

Wenn ich in den Spiegel schaue, dann… Dieser Satz verlangt eigentlich nach einer Selbstbetrachtung. Mir kam aber ein ganz anderer Gedanke, als ich den Schreibimpuls las. Vielleicht liegt es an der momentanen Disney-Film Leidenschaft in unserem Haushalt aber vor meinem inneren Auge erschien sofort Schneewittchens böse Stiefmutter.

Ein klassisches Spiegelbild sozusagen & auch ein traurig-aktuelles Frauenschicksal, wenn man bedenkt, dass das Märchen fast 200 Jahre alt ist. Eine Frau, die altert & daran verzweifelt. Einen richtigen Namen hat sie auch nicht mal.

Nun muss die Angst vorm Älterwerden, das gebe ich gern zu, nicht gleich mit Mordfantasien kombiniert werden oder mit der Idee, die Leber der Stieftochter zu essen. (Fun Fact am Rande: In der ersten Version des Grimmschen Märchens war es noch Schneewittchens echte Mutter. Der Schwenk zur Stiefmutter kam erst später, wahrscheinlich weil – auch vor dem Hintergrund des sich im 19. Jahrhunderts entwickelnden Mutterideals – Mordgelüste der leiblichen Mutter doch zu irritierend waren.)

Und trotzdem, wird die böse Anverwandte nicht verkannt? Zur Entstehungszeit des Märchens hatten Frauen keine Persönlichkeitsrechte. Darüber hinaus barg die Schwangerschaft & Geburt große Risiken & endete nicht selten mit dem Tod. Auch Kindheit veränderte sich erst allmählich oder wurde als eigene Lebensphase überhaupt erst entdeckt. Im Jahrhundert davor war es nicht unüblich, Kinder aufgrund der hohen Sterblichkeit bis zum 1. Geburtstag namenlos zu lassen.

Schneewittchens Stiefmutter (Auch noch kinderlos!) hat es nicht gut getroffen. Zwei Sachen ist sie – machthungrig & nicht mehr schön. Zur Festigung ihrer gesellschaftlichen Position konnte sie einst ihre Schönheit in die Waagschale werfen. Gern auch ihre Intelligenz, die wiegt nur eben nichts.

Ihre Stieftochter hingegen wird immer schöner & führt ihr den Verlust der einzigen Machtbasis schmerzlich vor Augen. In der Neuverfilmung Snowwhite and the Huntsman (2012) tötet Charlize Theron als böse Stiefmutter Schneewittchens Vater, weil „sie alle Männer hasst, denn diese lassen Frauen fallen, wenn sie ihre Schönheit verlieren.“ Auch nicht nett.

Die damalige Kritikerfreude über diesem Film & sein neues Schneewittchen, das ihr Schicksal selbstbestimmt in die Hand nimmt (und mit dem Jäger auf Rachefeldzug geht statt in der Zwergenhütte zu warten), konnte ich übrigens nicht ganz nachvollziehen.

Schneewittchen rebelliert auch hier ganz klassisch mit ihrer Schönheit & tötet am Ende die schönheitsbesessene & machthungrige Gegenspielerin kurz vor ihrem biologischen Ende. Die Kamera vergleicht munter in Großaufnahme das unfassbar alte Gesicht der 37jährigen Charlize Theron (jaja, mit Make-Up) mit dem von Kirsten Stewart (22). Uih, 15 Jahre! In die Köpfe von Hollywoodcastingagenten möchte man nicht gucken.

Die Männer & die Wichtigkeit, ihnen zu gefallen, ist in allen Schneewittchen-Versionen präsent, auch wenn die Männer eigentlich kaum auftauchen. (Im Grunde genommen würde der Film sogar den Bechdel-Test bestehen, denn die beiden Protagonistinnen sprechen miteinander über Äpfel.)

Was Schneewittchens Stiefmutter am Ende unterschätzt, ist, dass Schneewittchen geholfen wird, weil sie eine naiv-hilflos-jugendliche Schönheit vor sich her trägt. Erlauben wir uns mal das Gedankenexperiment, ob die Zwerge auch ein hässliches Schneewittchen bei sich hätten wohnen lassen.

Die Romantiker unter uns können natürlich auch gern sagen, dass sie die Liebe unterschätzt hat. Vielleicht weil sie in ihrem eigenen Leben nicht (mehr – aufgrund verschwindender Attraktivität, mieser Plot) präsent war.

Was das Märchen suggeriert ist erstaunlich-erschreckend aktuell. Frauen leben glücklich oder verzweifeln aufgrund ihres Äußeren. Attraktivität als Gradmesser an Lebenszufriedenheit & dem eigenen gesellschaftlichen Einfluss plus der neidvolle Vergleich von Frauen untereinander (weiterentwickelt in den medialen Zickenkriegbildern, von denen ich vorgestern schrieb) ist in Schneewittchen ein unumgänglicher, wie natürlich-gegebener, Fakt. Der Wunsch, schön zu sein verführt & legt in Ketten. Ihm entkommen kann man kaum.

Der Spiegel, in den die Stiefmutter schaut, ist unerbittlich. Er zeigt ihr nicht nur den Verfall der eigenen Jugendlichkeit (was automatisch einen Verfall an Attraktivität bedeutet), sondern verbalisiert ihn auch noch. Ein bisschen wie Anti-Aging Werbespots & freundliche Douglasverkäuferinnen, die 25jährige dezent auf Falten hinweisen – 200 Jahre später.

Das grimmsche Ende der Königin ist ebenso eine letzte Zeile wert. Zur Hochzeit der Stieftochter eingeladen, muss sie sich in rotglühenden Eisenpantoffeln zu Tode tanzen. Attraktivitätsneid & die falschen Schuhe haben ihr das Genick gebrochen.

Dies ist ein Post im Rahmen der NaBloPoMo – Reihe. Die Idee ist, im Juli an jedem Tag zu bloggen. Wer mehr erfahren möchte, liest hier weiter. Noch mehr Blogs, die auch mitmachen, findet ihr rechts oben in der Sidebar. Alle meine Beiträge findet ihr hier

Foto: flickr – Tom Simpson – CC by 2.0

 

4 Kommentare

  1. Ich finde es immer wieder erschreckend, wie aktuell Themen aus Märchen bleiben. Eigentlich könnte man doch erwarten, dass sich die Gesellschaft weiterentwickelt, ganz offensichtlich ist dies – wie man an diesem Beispiel wunderbar sieht – aber nicht der Fall.

    • Das Tolle ist ja, dass du jederzeit kommentieren kannst, wenn es dir einfällt :-). Und tausend Dank fürs Lob.

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